Neue Rezension von «Utopias in Nonfiction Film»

Der Film­wis­sen­schaft­ler Flo­ri­an Mund­hen­ke, des­sen Stu­die Zwi­schen Do­ku­men­tar- und Spiel­film für mich eine wich­ti­ge Re­fe­renz dar­stellt, hat Uto­pi­as in Non­fic­tion Film für das geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Por­tal H-Soz-Kult be­spro­chen. Mund­hen­ke ist für die­ses Thema ein schon fast idea­ler Re­zen­sent, da er sich nicht nur in­ten­siv mit hy­bri­den For­men zwi­schen Fik­ti­on und Nicht­fik­ti­on (s. den er­wähn­ten Buch­ti­tel), son­dern auch mit Sci­ence Fic­tion und ver­wand­ten For­men be­schäf­tigt. Seine Re­zen­si­on zeugt denn auch von sei­ner Kom­pe­tenz. Zwar bringt er sehr wohl ei­ni­ge Kri­tik­punk­te an, ins­ge­samt fällt das Fazit aber ein­deu­tig po­si­tiv aus:

Die Hin­füh­rung zum Thema im dich­ten theo­re­ti­schen Teil ist vor­bild­lich ge­stal­tet. […] Das Buch kann allen an der Uto­pie In­ter­es­sier­ten un­be­dingt emp­foh­len wer­den. Die sehr gut les­ba­re, über­aus ge­lun­ge­ne eng­li­sche Über­set­zung er­mög­licht es den Stu­di­en des Au­tors hof­fent­lich, auch in­ter­na­tio­nal an­schluss­fä­hig zu wer­den.

Hier noch der ob­li­ga­te Hin­weis, dass die deut­sche Ver­si­on Bil­der einer bes­se­ren Welt gra­tis als Open Ac­cess ver­füg­bar ist.

Zur voll­stän­di­gen Re­zen­si­on.

Mund­hen­ke, Flo­ri­an: Zwi­schen Do­ku­men­tar- und Spiel­film. Zur Re­prä­sen­ta­ti­on und Re­zep­ti­on von Hy­brid-For­men. Wies­ba­den: Sprin­ger VS 2017.

Rezension von «Niegeschichte»

Diet­mar Dath ist ohne Zwei­fel einer der pro­duk­tivs­ten Sci­ence-Fic­tion-Au­to­ren deut­scher Spra­che. Oder wohl eher: einer der pro­duk­tivs­ten deutsch­spra­chi­gen Schrift­stel­ler über­haupt. Denn Dath schreibt nicht nur mit einer be­ein­dru­ckend hohen Ka­denz SF-Ro­ma­ne, da­ne­ben ver­öf­fent­licht er auch noch Bü­cher über Marx, Hegel, Fern­seh­se­ri­en, re­zen­siert Filme und Ro­ma­ne und noch di­ver­se an­de­re Dinge.

So sehr mich Daths un­er­hör­te Pro­duk­ti­vi­tät be­ein­druckt – mit dem, was er schreibt, werde ich sel­ten wirk­lich warm. Ich lese immer mal wie­der Re­zen­sio­nen von Dath, habe mir auch schon ver­schie­de­ne sei­ner Sach­t­ex­te sowie einen Roman – Venus siegt von 2015 – zu Ge­mü­te ge­führt, nichts davon hat mich aber rest­los über­zeugt. Das Pro­blem ist dabei stets das­sel­be: Dath weiss un­glaub­lich viel, war­tet auch immer wie­der mit ori­gi­nel­len Ge­dan­ken auf, ser­viert das Ganze aber lei­der in einem Stil, der mich meine mitt­ler­wei­le lei­der etwas spär­li­chen Haare rau­fen lässt. Für mich ist die Dath’sche Schrei­be der In­be­griff von schwur­be­li­gem Stil.

Als vor zwei Jah­ren Nie­ge­schich­teDaths Opus ma­gnum zu Theo­rie und Ge­schich­te SF, er­schien, war ich ent­spre­chend skep­tisch. Zwar stand für mich fest, dass Dath viel In­ter­es­san­tes zu sagen hätte, aber dass ich nun aus­ge­rech­net in die­sem Fall zum Freund sei­ner Prosa wer­den soll­te, schien mir doch eher un­wahr­schein­lich. Zumal ich oh­ne­hin der Über­zeu­gung bin, dass bei theo­re­ti­schen Grund­la­ge­wer­ken, deren Um­fang 500 Sei­ten deut­lich über­schrei­tet, in jedem Fall etwas schief ge­gan­gen ist. Des­halb ver­zich­te­te ich vor­erst auch dar­auf, Nie­ge­schich­te zu lesen, ge­schwei­ge denn zu re­zen­sie­ren.

Doch dann mel­de­te sich Wolf­gang Neu­haus bei mir und frag­te mich, ob ich nicht doch Lust hätte, etwas über Daths Wäl­zer für das Sci­ence Fic­tion Jahr zu schrei­ben. Wobei er aus­drück­lich keine Re­zen­si­on im Sinne hatte, son­dern eine ein­ge­hen­de­re Dis­kus­si­on von Daths An­satz. Und ob­wohl ei­gent­lich ich nicht recht Lust dazu hatte, liess ich mich dann doch über­re­den.

Das Er­geb­nis, ein recht aus­führ­li­ches re­view essay, ist nun er­schie­nen und auch be­reits on­line ver­füg­bar. Um es gleich vor­weg zu neh­men: Ob­wohl ich mich ehr­lich be­müht habe, Nie­ge­schich­te mit mög­lichst of­fe­nem Geist zu be­geg­nen, blie­ben auch die­ses Mal die Mo­men­te nicht aus, in denen ich an­ge­sichts him­mel­schrei­end über­la­de­ner, letzt­lich aber völ­lig nichts­sa­gen­der For­mu­lie­run­gen kurz vor dem Ver­zwei­feln stand.

Die Ab­nei­gung scheint üb­ri­gens auf Ge­gen­sei­tig­keit zu be­rü­hen. Wie Dath in sei­nem Büch­lein Steh­satz ge­steht, ver­folgt er sehr genau, was im Netz etwas über ihn ge­schrie­ben wird. So ist er auch auf einen Post von mir im sf-netz­werk ge­stos­sen, in dem ich mei­nem Ärger über Nie­ge­schich­te frei­en Laufe lasse. Nun ja, im­mer­hin bin ich nun als ex­em­pla­ri­scher Igno­rant im Dath’schen Œuvre ver­ewigt:

Zu mei­ner Re­zen­si­on

Spie­gel, Simon: »Wenn Theo­rie zu Sci­ence Fic­tion wird. Zu Diet­mar Daths Nie­ge­schich­te.“. In: Wylutz­ki, Me­la­nie/Kett­litz, Hardy (Hg.): Das Sci­ence Fic­tion Jahr 2021. Ber­lin 2021, 331–347 Tü­bin­gen: Narr Francke At­temp­to 2021«. [PDF]

Zu »Dune« – im Allgemeinen wie im Speziellen

Die lange er­war­te­te, mehr­fach ver­scho­be­ne Ver­fil­mung von Frank Her­berts Sci­ence-Fic­tion-Epos Dune durch Denis Vil­le­neuve hat nun end­lich die Kinos er­reicht. Für die Re­pu­blik habe ich in einem län­ge­ren Ar­ti­kel die Ge­schich­te der bis­he­ri­gen – alle mehr oder we­ni­ger ge­schei­ter­ten – Dune-Ver­fil­mun­gen auf­ge­ar­bei­tet und mir na­tür­lich auch Vil­le­neu­ves Ver­si­on an­ge­schaut.

Den Ar­ti­kel gibt es hier.

 

Josh Brolin und Timothée Chalamet

Josh Bro­lin und Ti­mothée Cha­l­a­met

Rezension von »Absent Rebels«

Über kaum etwas schreibt das Feuille­ton so gerne wie über das Ver­schwin­den der Uto­pie bzw. das Über­hand­neh­men der Uto­pie. Dass die­ses La­men­to in mei­nen Augen nur be­dingt be­rech­tigt ist, da die Zu­kunft in der Sci­ence Fic­tion zu kei­nem Zeit­punkt aus­schliess­lich po­si­tiv war, habe ich schon ver­schie­dent­lich ge­schrie­ben.1

Cover »Absent Rebels«Zwei­fel­los kor­rekt ist aber, dass sich dys­to­pi­sche Stof­fe seit ge­rau­mer Zeit gros­ser Be­liebt­heit er­freu­en. Und eben­so rich­tig ist, dass die Dys­to­pie dazu ten­diert, die stets glei­chen Ele­men­te zu ver­wen­den. Letz­te­res ist an sich nicht un­ge­wöhn­lich, es ge­hört viel­mehr zum Wesen eines Gen­res, dass es mit einem Grund­stock von Mo­ti­ven und Plot-Ver­satz­stü­cken ar­bei­tet und diese je­weils auf mehr oder we­ni­ger neue Weise kom­bi­niert.2 Nun ver­steht sich die Dys­to­pie aber de­zi­diert als kri­ti­sches Genre, das ne­ga­ti­ve Ent­wick­lun­gen dra­ma­tisch über­stei­gert und die Le­se­rin­nen und Zu­schau­er auf diese Weise auf­rüt­teln will. Ist das bei einem Genre, das, etwas über­spitzt aus­ge­drückt, seit Hux­ley und Or­well bloss die immer glei­chen Mo­ti­ve re­zy­kliert und heute zudem in der Form von Me­ga-Fran­chi­ses wie die Hun­ger-Ga­mes-Reihe oder Se­ri­en wie The Hand­maid’s Tale er­scheint, aber über­haupt noch mög­lich? Oder an­ders for­mu­liert: Ist es nicht Zei­chen eines gros­sen Miss­ver­ständ­nis­ses, wenn, wie oft kol­por­tiert, nach der Wahl Do­nald Trumps Ni­n­e­teen Eigh­ty-Four plötz­lich wie­der in den Best­sel­ler-Lis­ten auf­taucht? Denn was kann uns ein mehr als ein hal­bes Jahr­hun­dert altes Buch, das vor einem gänz­lich an­de­ren po­li­ti­schen und kul­tu­rel­len Hin­ter­grund ent­stan­den ist, wirk­lich über die Ge­gen­wart sagen?

An­ni­ka Gon­ner­mann geht in Ab­sent Re­bels, das auf ihrer Dis­ser­ta­ti­on in An­glis­tik an der Uni­ver­si­tät Mann­heim ba­siert, von der These aus, dass ein Gross­teil der dys­to­pi­schen Li­te­ra­tur – und damit auch der Uto­pie­for­schung – ir­gend­wo tief im 20. Jahr­hun­dert ste­cken ge­blie­ben ist. Der Feind, den es zu be­zwin­gen gilt, ist in den meis­ten Ro­ma­nen und Fil­men immer noch der (to­ta­li­tä­re) Staat ist, der durch einen po­li­ti­schen Um­sturz be­siegt wer­den kann. Dies ent­sprä­che aber längst nicht mehr der Rea­li­tät; die ei­gent­li­che Be­dro­hung geht heute, so Gon­ner­mann, nicht vom Staat, son­dern von einem un­ge­brems­ten ka­pi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­sys­tem aus. Folg­lich kann die Lö­sung auch nicht in einer Re­bel­li­on gegen das herr­schen­de po­li­ti­sche Sys­tem lie­gen.

Mit die­ser Prä­mis­se rennt Gon­ner­mann bei mir of­fe­ne Türen ein. Ich konn­te es bis­her zwar nicht so prä­zi­se wie sie be­nen­nen, aber ich teile ihr Un­be­ha­gen über den Zu­stand der Dys­to­pie weit­ge­hend. Ent­spre­chend habe ich mich ge­freut, dass ich das Buch für die Zeit­schrift re­zen­sie­ren konn­te.

Wie ich in mei­ner Be­spre­chung aus­füh­re, kann Gon­ner­mann ihre These über­zeu­gend be­le­gen. Meine Haupt­kri­tik ist, dass Ab­sent Re­bels für mei­nen Ge­schmack zu li­te­ra­tur­las­tig ist und Be­wegt­bil­der völ­lig igno­riert. Das sagt al­ler­dings vor allem etwas über meine In­ter­es­sen aus und schmä­lert Gon­ner­manns Ver­dienst in kei­ner Weise.

Die voll­stän­di­ge Re­zen­si­on gibt es hier.

The Handmaid's Tale

Wie kri­tisch kann die Dys­to­pie heute noch sein?

Spie­gel, Simon: »Re­zen­si­on von Gon­ner­mann, An­ni­ka: Ab­sent Re­bels. Cri­ti­cism and Net­work Power in 21st Cen­tu­ry Dys­to­pi­an Fic­tion. Tü­bin­gen: Narr Francke At­temp­to 2021«. In: Zeit­schrift für Fan­tas­tik­for­schung 9.1, 1–6. Doi: 10.16995/zff.5691.

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  1. Unter an­de­rem in die­sem Bei­trag.[]
  2. Siehe dazu auch die­sen und die­sen Post.[]

Erste Rezension von «Utopia and Reality»

Cover «Utopia and Reality»Der Sci­ence-Fic­tion-Schrift­stel­ler, Pod­cas­ter und Blog­ger David Agra­n­off ist nach ei­ge­nen An­ga­ben eher zu­fäl­lig über un­se­ren Sam­mel­band Uto­pia and Rea­li­ty ge­stol­pert. Oder viel­mehr: Er hatte ei­gent­lich ein ganz an­de­res Buch er­war­tet. Umso mehr freut es mich, dass er Ge­fal­len an dem Band ge­fun­den und sich sogar die Zeit ge­nom­men hat, die­sen sehr freund­lich zu be­spre­chen.

I admit if I had not mi­sun­ders­tood what this book was about, I pro­bab­ly would not have read it, but this thought­ful well-re­se­ar­ched an­tho­lo­gy about Uto­pi­an films was very good. Happy mis­ta­ke as it were.

Die ganze Re­zen­si­on fin­det sich auf Da­vids Blog.

Erschienen: Rezension von Matthias Uhlmanns «Die Filmzensur im Kanton Zürich».

Auf H-Soz-Kult ist so­eben meine Re­zen­si­on von Mat­thi­as Uhl­manns ge­wich­ti­ger film­his­to­ri­scher Dis­ser­ta­ti­on Die Film­zen­sur im Kan­ton Zü­rich. Ge­schich­te, Pra­xis, Ent­schei­de er­schie­nen.

Zur voll­stän­di­gen Re­zen­si­on.

Uhl­mann, Mat­thi­as: Die Film­zen­sur im Kan­ton Zü­rich. Ge­schich­te, Pra­xis, Ent­schei­de. Zü­rich: Ver­lag Le­gis­si­ma 2019.

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Neue Rezension auf «Medienimpulse»

Mi­cha­el Bur­ger hat Bil­der einer bes­se­ren Welt für Me­di­en­im­pul­se re­zen­siert und kommt in sei­ner aus­führ­li­chen Be­spre­chung zu einem über­aus freund­li­chen Fazit:

Ab­schlie­ßend bleibt zu sagen, dass Spie­gel mit sei­ner gut 400 Sei­ten um­fas­sen­den Ha­bi­li­ta­ti­on eine be­mer­kens­wer­te Stu­die vor­legt, deren un­kon­ven­tio­nel­ler An­satz und For­schungs­schwer­punkt gänz­lich neue Per­spek­ti­ven so­wohl für die Film­wis­sen­schaft als auch für die Uto­pie­for­schung er­öff­net. Durch den Fokus auf den nicht­fik­tio­na­len Film und seine Be­zugs­punk­te zu uto­pi­schen Kon­zep­ten hat der Autor auf ein gro­ßes Feld noch un­be­ar­bei­te­ter For­schungs­fra­gen auf­merk­sam ge­macht. Seine Stu­die stellt letzt­lich ein­drucks­voll unter Be­weis, wie er­kennt­nis­er­wei­ternd diese Eng­füh­rung sein kann. In­so­fern hat Bil­der einer bes­se­ren Welt sehr wohl Pio­nier­cha­rak­ter.

Zur voll­stän­di­gen Re­zen­si­on.

Sammelrezension zu «2001: A Space Odyssey»

Die Zeit­schrift für Fan­tas­tik­for­schung (ZFF),zu deren Her­aus­ge­bern ich ge­hö­re, ist das of­fi­zi­el­le Organ der Ge­sell­schaft für Fan­tas­tik­for­schung und die ein­zi­ge deutsch­spra­chi­ge wis­sen­schaft­lich Zeit­schrift, die sich me­di­en­über­grei­fend mit allen For­men »nicht-rea­lis­ti­scher« Er­zähl­wei­sen und -wel­ten be­schäf­tigt.

Nach einer län­ge­ren – zu lan­gen Funk­stil­le – er­scheint die ZFF neu als On­line-OpenAc­cess-Pu­bli­ka­ti­on auf der Platt­form der Open Li­bra­ry of the Hu­ma­nities, die von einem in­ter­na­tio­na­len Ver­bund von Bi­blio­the­ken fi­nan­ziert wird.

Der Um­stieg war mit ei­ni­gen Hür­den ver­bun­den. Mitt­ler­wei­le haben wir diese alle über­wun­den, doch eine Folge der di­ver­sen Haken und Ösen, mit denen wir uns rum­pla­gen muss­ten, ist, dass die erste »neue« Aus­ga­be nicht auf einen Schlag er­scheint, son­dern dass wir die Ar­ti­kel fort­lau­fend ver­öf­fent­li­chen.

Heute ist nun eine län­ge­re Re­zen­si­on von mir er­schie­nen, in denen ich vier neu er­schie­nen Bü­cher be­spre­che, die sich mit Stan­ley Ku­bricks 2001: A Space Odys­sey be­schäf­ti­gen, der letz­tes Jahr sei­nen 50. Ge­burts­tag fei­er­te.

Kon­kret be­spre­che ich die fol­gen­den Titel:

Mi­cha­el Ben­son: Space Odys­sey: Stan­ley Ku­brick, Ar­thur C. Clar­ke, and the Ma­king of a Mas­ter­pie­ce. Simon & Schus­ter: New York, 2018.

James Fen­wick (Hg.): Un­der­stan­ding Ku­brick’s 2001: A Space Odys­sey. Re­pre­sen­ta­ti­on and In­ter­pre­ta­ti­on. In­tel­lect: Ox­ford, 2018.

Joe R. Frin­zi: Ku­brick’s Mo­no­lith. The Art and Mys­te­ry of 2001: A Odys­sey. Mc­Far­land & Co.: Jef­fer­son, 2017.

Nils Da­ni­el Pei­ler: 201×2001. Fra­gen und Ant­wor­ten mit allem Wis­sens­wer­ten zu Stan­ley Ku­bricks 2001: A Space Odys­sey. Schü­ren: Mar­burg, 2018.

Die Re­zen­si­on ist hier on­line ver­füg­bar.

Cover der Publikationen

Fremder Klassiker: Zu Darko Suvins «Metamorphoses of Science Fiction»

Er­schie­nen in der Zeit­schrift für Fan­tas­tik­for­schung 2/2016.

Mit wis­sen­schaft­li­chen Klas­si­kern hat es eine ganz ei­ge­ne Be­wandt­nis; Klas­si­ker, das sind auch im aka­de­mi­schen Ge­schäft nicht sel­ten jene Titel, auf die sich zwar alle be­zie­hen, die aber kaum je­mand wirk­lich ge­le­sen hat, deren Kennt­nis sich meist auf ei­ni­ge we­ni­ge immer wie­der zi­tier­te Pas­sa­gen be­schränkt. In die­ser Hin­sicht – aber nicht nur in die­ser – ist Darko Su­vins Me­ta­mor­pho­ses of Sci­ence Fic­tion (MoSF) ein ganz gro­ßer Klas­si­ker. Die von Suvin ein­ge­führ­ten Be­grif­fe Novum und ko­gni­ti­ve Ver­frem­dung ge­hö­ren un­be­strit­ten zum Kern­be­stand des kri­ti­schen Vo­ka­bu­lars in der SF-For­schung und die ent­spre­chen­den Ab­schnit­te wer­den auch mit schö­ner Re­gel­mä­ßig­keit zi­tiert. Wer sich kri­tisch zum Ur­va­ter der SF-For­schung po­si­tio­nie­ren möch­te, führt zudem gerne noch einen sei­ner be­rüch­tig­ten Aus­fäl­le gegen min­der­wer­ti­ge Ver­tre­ter des Gen­res an. Dar­über hin­aus sind die MoSF, die fast gleich­zei­tig mit der eng­li­schen Aus­ga­be unter dem Titel Poe­tik der Sci­ence Fic­tion auch auf Deutsch er­schie­nen sind, aber weit­ge­hend un­be­kannt. Zi­tiert wird aus­schließ­lich aus dem ers­ten Teil, in dem Suvin seine Poe­tik ent­wi­ckelt. Der dop­pelt so lange zwei­te Teil, der sich mit der Ge­schich­te der SF be­schäf­tigt, wurde, wie Suvin selbst im Vor­wort der Neu­auf­la­ge fest­stellt, von der For­schung da­ge­gen weit­ge­hend igno­riert. Die­ses Schick­sal tei­len die MoSF üb­ri­gens mit dem an­de­ren gro­ßen Klas­si­ker un­se­res Fel­des: Auch aus Tz­ve­tan To­do­rovs Ein­füh­rung in die fan­tas­ti­sche Li­te­ra­tur wer­den mit schö­ner Re­gel­mä­ßig­keit die stets glei­chen Ka­pi­tel an­ge­führt re­spek­ti­ve igno­riert.

Mit ein Grund für diese sehr se­lek­ti­ve Re­zep­ti­on dürf­te sein, dass Su­vins Buch lange ver­grif­fen war; so­wohl auf Eng­lisch wie auch auf Deutsch sind die MoSF seit Jah­ren nur noch an­ti­qua­risch er­hält­lich, mitt­ler­wei­le zu recht stol­zen Prei­sen. Zu­min­dest für den eng­lisch­spra­chi­gen Markt er­scheint nun in der Reihe Ralahi­ne Uto­pi­an Stu­dies re­spek­ti­ve in der Un­ter­rei­he Ralahi­ne Clas­sics, in der ver­gan­ge­nes Jahr be­reits Tom Mo­ylans De­mand the Im­pos­si­ble wie­der auf­ge­legt wurde, eine Neu­auf­la­ge. Die von Gerry Ca­na­van her­aus­ge­ge­be­ne Aus­ga­be ent­hält nicht nur eine aus­führ­li­che Ein­lei­tung des Her­aus­ge­bers sowie ein neues Vor­wort des Au­tors, son­dern auch drei neue­re Ar­ti­kel Su­vins.

Su­vins Ver­frem­dungs­kon­zept ist, wie be­reits er­wähnt, nach wie vor zen­tral für die SF-For­schung; ent­spre­chend wurde es in der Ver­gan­gen­heit be­reits aus­führ­lich dis­ku­tiert, kri­ti­siert und er­wei­tert.1 Die­sem Pfad möch­te ich in die­sem Re­view Essay nicht noch ein wei­te­res Mal fol­gen; zwar sol­len Su­vins Ver­ständ­nis von Ver­frem­dung und des­sen Pro­ble­me skiz­ziert wer­den, dar­über hin­aus ist es aber mein An­lie­gen, die MoSF um­fas­sen­der zu wür­di­gen und statt den in der Ver­gan­gen­heit oft be­leuch­te­ten Pas­sa­gen auch die we­ni­ger be­kann­ten Teile in den Blick zu neh­men.

Buchover

Die Neu­aus­ga­be der «Me­ta­mor­pho­ses».

Im Vor­wort zur Erst­aus­ga­be be­zeich­net sich Suvin nicht un­be­schei­den, aber durch­aus zu­recht als „pa­th­brea­ker“ (9); die MoSF waren viel­leicht nicht der al­ler­ers­te, aber si­cher der bis dato am­bi­tio­nier­tes­te Ver­such, SF als einen der wis­sen­schaft­li­chen Be­schäf­ti­gung wür­di­gen Ge­gen­stand zu eta­blie­ren. Zu die­sem Zweck be­dient sich Suvin zwei­er ge­gen­läu­fi­ger Stra­te­gi­en. Ei­ner­seits kri­ti­siert er schon auf der ers­ten Seite die eta­blier­te Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft dafür, dass diese 90 Pro­zent der exis­tie­ren­den Li­te­ra­tur, „the li­te­ra­tu­re that is ac­tual­ly read“ (1), igno­rie­re. Die­ses Plä­doy­er für eine Be­schäf­ti­gung mit po­pu­lä­ren Ge­gen­stän­den wird aber so­gleich un­ter­lau­fen, denn nur we­ni­ge Zei­len wei­ter, ist zu lesen, „90 or even 95 per cent of SF pro­duc­tion is strict­ly pe­ris­ha­ble stuff“ (1). Der Wi­der­spruch ist of­fen­sicht­lich und wird noch da­durch un­ter­stri­chen, dass Suvin gleich zwei­mal von 90 Pro­zent spricht – eine Zahl, die in der Folge noch ein paar­mal auf­taucht –, ohne auch nur an­satz­wei­se zu er­klä­ren, wie er zu die­ser Ein­schät­zung ge­langt. Diese wi­der­sprüch­li­che Ar­gu­men­ta­ti­on ist sym­pto­ma­tisch für sein Vor­ge­hen – er will SF als wert­vol­le Li­te­ra­tur adeln, meint damit aber bei­lei­be nicht die ge­sam­te SF, son­dern le­dig­lich einen klei­nen, von ihm de­fi­nier­ten Kanon. Die­ser nor­ma­ti­ve An­satz, der dem An­sin­nen, „die Li­te­ra­tur, die tat­säch­lich ge­le­sen wird“ ernst zu neh­men, zu­wi­der­läuft, steht im Zen­trum sei­nes Pro­jekts. Echte SF hat „ethi­co-po­li­ti­cal li­be­ra­ting qua­li­ties“ (100); es ist kri­ti­sche – was für Suvin gleich­beu­tend ist mit mar­xis­ti­scher – SF. Oder wie es Ca­na­van in sei­ner Ein­lei­tung for­mu­liert: „the re­la­ti­ons­hip bet­ween SF (as Suvin de­fi­nes it) and the lar­ger po­li­ti­cal lef­tism is in some sense un­avo­i­da­ble“ (xx­xi­ii).

Auf den Vor­wurf, dass er nor­ma­tiv ver­fah­re, re­agiert Suvin in sei­nem neuen Vor­wort mit dem Ar­gu­ment, dass es ohne Nor­men un­mög­lich sei, einen Ge­gen­stand – in die­sem Fall also die SF – über­haupt zu er­ken­nen. Frei­lich wer­den hier sehr un­ter­schied­li­che Dinge mit dem Be­griff „Norm“ be­zeich­net – näm­lich er­kennt­nis­theo­re­ti­sche Ka­te­go­ri­en und Wer­tun­gen. Den­noch ist Su­vins Ant­wort wohl nicht bloß als rhe­to­ri­sche Finte ge­dacht, denn für ihn stel­len De­fi­ni­ti­on und Wer­tung aus­drück­lich nicht ver­schie­de­ne Tä­tig­kei­ten dar, son­dern fal­len zu­sam­men. Rich­ti­ge SF ist für ihn auch immer gute SF – und um­ge­kehrt. Für Suvin steht letzt­lich viel mehr auf dem Spiel als bloß eine Ta­xo­no­mie, denn gute SF ist „an edu­ca­tio­nal li­te­ra­tu­re […] ir­re­ver­si­bly shaped by the pa­thos of pre­aching the good word of human cu­rio­si­ty, fear, and hope“ (50). Aus der Gleich­set­zung von De­fi­ni­ti­on und Wer­tung folgt auch eines sei­ner Axio­me für die Er­for­schung der SF: „the genre has to be and can be eva­lua­ted pro­cee­ding from its heights down, ap­p­ly­ing the stan­dards gai­ned by the ana­ly­sis of its mas­ter­pie­ces“ (49). Dass ein Groß­teil der als SF ver­kauf­ten Li­te­ra­tur den so ge­won­ne­nen Stan­dards nicht ge­recht wird, ist kein Grund, das Vor­ge­hen zu än­dern. „On the con­tra­ry, the no doubt very im­portant em­pi­ri­cal rea­li­ties of SF must […] be ob­sti­na­te­ly con­fron­ted with the as im­portant his­to­ri­cal po­ten­tia­li­ties of the genre“ (2). Nicht das real exis­tie­ren­de Genre ist von In­ter­es­se, son­dern das „ge­ne­ric telos“, des­sen Prin­zi­pi­en Suvin bloß­le­gen will und das gegen die tat­säch­lich ver­öf­fent­lich­te Li­te­ra­tur ver­tei­digt wer­den muss.2

Dass die Ge­schich­te eines Gen­res als Ab­fol­ge ei­ni­ger we­ni­ger Meis­ter­wer­ke ge­schrie­ben wird, ist in der Gen­re­for­schung oft zu be­ob­ach­ten. Ver­steht man ein Genre als ein Set von – durch­aus wan­del­ba­ren – Kon­ven­tio­nen, die von Pro­du­zen­ten und Re­zi­pi­en­ten ge­teilt wer­den, ist die­ses Vor­ge­hen frei­lich pro­ble­ma­tisch. Denn die mit­tel­mä­ßi­gen Texte, die in ihrer Masse die Kon­ven­tio­nen fes­ti­gen, sind in die­sem Pro­zess min­des­tens so wich­tig wie die Meis­ter­wer­ke. Letz­te­re sind hin­ge­gen meist jene Bei­spie­le, die aus dem Meer der Durch­schnitt­lich­keit her­aus­ra­gen, die die Kon­ven­tio­nen un­ter­lau­fen, er­wei­tern, mo­di­fi­zie­ren, also im Grun­de just die un­ty­pi­schen Ver­tre­ter eines Gen­res. Für Suvin da­ge­gen wird die über­wie­gen­de Mehr­heit des­sen, was als SF ver­kauft wird, dem „ge­ne­ric telos“ nicht ge­recht und fällt damit aus dem Genre her­aus. Ein Groß­teil der SF, so sein Be­fund, ist in Wirk­lich­keit gar nicht SF. Un­ab­hän­gig davon, ob man seine Ein­schät­zung, was gute re­spek­ti­ve schlech­te SF aus­macht, teilt, bleibt die Frage, wie mit die­sem Gen­re-Nie­mands­land, in dem sich die min­der­wer­ti­gen Bei­spie­le tum­meln, aus gen­re­theo­re­ti­scher Sicht zu ver­fah­ren ist.

Suvin ist sich durch­aus be­wusst, dass sein Ver­ständ­nis von SF nicht mit dem über­ein­stimmt, was der Markt re­spek­ti­ve die Leser unter die­sem Label ver­ste­hen. Er stellt sogar Über­le­gun­gen dazu an, ob es sinn­voll sei, das, was er in den MoSF be­schreibt, als ‚Sci­ence Fic­tion‘ zu be­zeich­nen. Die Ge­fahr, dass „the use of ‚sci­ence fic­tion‘ con­fu­ses the whole genre with the twen­ti­eth cen­tu­ry SF from which the name was taken“ (26), ist ihm be­wusst, letzt­lich über­wie­gen in sei­nen Augen aber die Vor­tei­le der eta­blier­ten Be­zeich­nung. Ob­wohl der his­to­ri­sche Teil der MoSF gut 200 Sei­ten um­fasst, ist die su­vin­sche SF somit kein his­to­ri­sches Genre, son­dern eher ein all­ge­mei­nes Prin­zip, das sich in un­ter­schied­li­chen Text­for­men nie­der­schla­gen kann, wobei die mo­der­ne US-ame­ri­ka­ni­sche SF nicht un­be­dingt der idea­le Ort für die­ses Prin­zip zu sein scheint.

Darko Suvin

Darko Suvin in einer Auf­nah­me von 2016.

Das ei­gent­li­che Pro­blem von Su­vins An­satz ist noch nicht ein­mal, dass er sich bei sei­ner De­fi­ni­ti­on von sehr kla­ren, er­klär­ter­ma­ßen po­li­tisch mo­ti­vier­ten Vor­lie­ben lei­ten lässt, son­dern dass sein Gen­re­kon­zept nicht kon­sis­tent ist. Ob­wohl er Gen­res als „so­cio­aes­t­he­tic and not me­ta­phy­si­cal en­t­i­ties“ (29) ver­steht – und somit als his­to­risch wan­del­ba­re Er­schei­nun­gen – be­han­delt er sie nicht als prag­ma­ti­sche Ge­bil­de, die von ihren ‚Be­nut­zern‘ im Ge­brauch fort­lau­fend neu- und um­de­fi­niert wer­den, son­dern als mehr oder we­ni­ger feste Ein­hei­ten, die sich an­hand kla­rer Kri­te­ri­en – in sei­nem Fall des Be­griffs­paars Ver­frem­dung und Er­kennt­nis – de­fi­nie­ren las­sen.

Diese Her­an­ge­hens­wei­se führt re­gel­mä­ßig zu selt­sa­men Er­geb­nis­sen, etwa wenn er an­hand der Ge­gen­satz­paa­re „Na­tu­ra­lis­tic/Es­tran­ged“ und „Co­gni­ti­ve/ Non­co­gni­ti­ve“ eine Ma­trix mit vier Fel­dern er­stellt, in die er dann die ver­schie­de­nen Gen­res ein­teilt (33). Die ge­sam­te „rea­lis­ti­sche Li­te­ra­tur“ ist na­tu­ra­lis­tisch und ko­gni­tiv, Fan­ta­sy3 und Mär­chen da­ge­gen ver­frem­det und nicht-ko­gni­tiv. SF schließ­lich ist so­wohl ver­frem­det als auch ko­gni­tiv. Bleibt das vier­te Feld der na­tu­ra­lis­ti­schen nicht-ko­gni­ti­ven Li­te­ra­tur. Hier­für führt Suvin kur­zer­hand die Ka­te­go­rie der „sub­li­te­ra­tu­re of ‚rea­lism‘“ ein, unter die, wie er knapp aus­führt, „from Re­nais­sance street-bal­lads to con­tem­pora­ry kitsch“ (33) alles Mög­li­che falle. Diese „Sub­li­te­ra­tur des Rea­lis­mus“ muss er ad hoc aus dem Hut zau­bern, weil es ihm sein ver­meint­lich so kla­res und lo­gi­sches Klas­si­fi­ka­ti­ons­sys­tem nun ein­mal so vor­gibt. Eine sinn­vol­le Ka­te­go­rie stellt sie nicht dar und nicht ein­mal Suvin selbst nimmt den Be­griff wie­der auf.4

Suvin ist in die­ser Hin­sicht ganz ein Kind sei­ner Zeit, sprich des For­ma­lis­mus re­spek­ti­ve des auf­stre­ben­den Struk­tu­ra­lis­mus. Ganz im Sinne die­ser An­sät­ze muss die Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft auch bei Suvin weg von sub­jek­ti­ver Ge­fühls­du­se­lei und ihren Ge­gen­stand statt­des­sen mit har­ten, qua­si-na­tur­wis­sen­schaft­li­chen In­stru­men­ten er­fas­sen. Auch dies­be­züg­lich zei­gen sich Par­al­le­len zwi­schen den MoSF und To­do­rovs Ein­füh­rung; in bei­den Fäl­len soll ein bis­lang zu wenig be­ach­te­tes Genre mit den neu­es­ten theo­re­ti­schen Werk­zeu­gen ver­mes­sen wer­den, und in bei­den Fäl­len führt das ver­meint­lich sys­te­ma­tisch-ra­tio­na­le Vor­ge­hen zu fun­da­men­ta­len in­ne­ren Wi­der­sprü­chen. Im Un­ter­schied zu To­do­rov ist Suvin aber selbst dann prä­skrip­tiv, wenn er ver­meint­lich nüch­ter­ne Ein­tei­lun­gen vor­nimmt. Seine Vie­rer­ma­trix gibt nicht bloß eine Ka­te­go­ri­sie­rung nach be­stimm­ten for­ma­len Prin­zi­pi­en wie­der, son­dern ist zu­gleich ein Wert­ur­teil. Texte, die zur Sub­li­te­ra­tur des Rea­lis­mus ge­hö­ren, sind von vorn­her­ein un­brauch­bar.

Für einen For­ma­lis­ten – in spä­te­ren Tex­ten be­harrt er teil­wei­se re­gel­recht trot­zig auf die­ser Be­zeich­nung – geht Suvin er­staun­lich wenig auf die li­te­ra­ri­sche Form ein; ein Groß­teil sei­ner Ana­ly­sen be­wegt sich auf einer in­halt­li­chen Ebene, kon­kre­te li­te­ra­ri­sche Ver­fah­ren ge­ra­ten nur sel­ten in den Blick. Den­noch er­klärt sein zwei­fel­los vor­han­de­ner for­ma­lis­ti­scher Hin­ter­grund nicht nur seine Vor­lie­be für Ma­tri­zes und di­cho­to­mi­sche Mo­del­le, son­dern auch das grund­le­gen­de Pro­blem sei­nes Ver­frem­dungs­kon­zepts. ‚Ver­frem­dung‘ meint bei ihm min­des­tens zwei Dinge, die sich auf sehr un­ter­schied­li­chen Ebe­nen ab­spie­len. Ei­ner­seits dient ihm ‚es­tran­ged‘ als Ge­gen­be­griff zu ‚na­tu­ra­lis­tic‘. Ver­frem­de­te Gat­tun­gen, zu denen neben der SF auch Mär­chen, Fan­ta­sy und My­then ge­hö­ren, er­zäh­len von Din­gen, die es nicht gibt. In die­ser Be­deu­tung ent­spricht ‚es­tran­ged‘ weit­ge­hend To­do­rovs Ka­te­go­rie des Wun­der­ba­ren, dem, was man um­gangs­sprach­lich als ‚nicht-rea­lis­tisch‘ be­zeich­net.

Zu­gleich be­zeich­net ‚Ver­frem­dung‘ aber auch die in Su­vins Augen wich­tigs­te Wir­kung der SF beim Leser. SF in­sze­niert je­weils Kol­li­sio­nen zwi­schen der Welt, wie wir sie ken­nen, und einer uns fremd­ar­ti­gen – in Su­vins Ter­mi­no­lo­gie eben ver­frem­de­ten – Welt. SF stellt zwei Sys­te­me ge­gen­ein­an­der: „a set nor­ma­ti­ve sys­tem […] with a point of view im­ply­ing a new set of norms“ (18). Diese Kon­fron­ta­ti­on führt beim Re­zi­pi­en­ten zu einer ver­än­der­ten Sicht auf die Welt. Das ver­meint­lich Ver­trau­te er­scheint in einem neuen Licht, wird nicht mehr als nor­mal und na­tür­lich ge­ge­ben wahr­ge­nom­men, son­dern als eine Mög­lich­keit unter vie­len. Genau darin liegt das kri­ti­sche Po­ten­zi­al des Gen­res.

In der Her­lei­tung sei­nes Ver­frem­dungs­kon­zepts be­zieht sich Suvin auf die Ost­ra­ne­nie des Rus­si­schen For­ma­lis­ten Vik­tor Šklovs­kij und den V-Ef­fekt Ber­tolt Brechts, nimmt ge­gen­über die­sen aber eine ent­schei­den­de Än­de­rung vor. Beide Au­to­ren be­schrei­ben zwar eine der SF-ty­pi­schen Ver­frem­dung ana­lo­ge Wir­kung, bei ge­naue­rer Be­trach­tung un­ter­schei­den sich ihre Ver­fah­ren aber deut­lich von die­ser. So­wohl für Šklovs­kij, der bei Suvin ins­ge­samt eine un­ter­ge­ord­ne­te Rolle spielt und des­sen Er­wäh­nung fast wie aka­de­mi­sches name drop­ping wirkt, wie auch für Brecht ist Ver­frem­dung pri­mär ein for­mal-rhe­to­ri­sches Ver­fah­ren. Bei bei­den geht es darum, wie etwas dar­ge­stellt wird – etwa eine un­ge­wöhn­li­che er­zäh­le­ri­sche Per­spek­ti­ve oder im Falle Brechts eine dis­tan­zier­te Spiel­wei­se. Wenn Suvin von einem „set nor­ma­ti­ve sys­tem“ spricht, geht es da­ge­gen wie schon bei den ver­frem­de­ten Gat­tun­gen of­fen­sicht­lich nicht um die Dar­stel­lungs­wei­se, son­dern um das Dar­ge­stell­te. Die Wir­kung mag eine ähn­li­che sein wie bei Brecht, aber die Kon­fron­ta­ti­on, von der Suvin spricht, spielt sich nicht auf for­ma­ler Ebene ab, son­dern in­ner­halb der Hand­lung, auf der Stufe der Die­ge­se. Der Me­cha­nis­mus, auf den es Suvin ab­ge­se­hen hat, ist nicht for­ma­le, son­dern die­ge­ti­sche Ver­frem­dung (vgl. Spie­gel 197–241).

 

Bertolt Brecht

Zen­tra­le Be­zugs­per­son: Ber­tolt Brecht.

Ver­frem­dung im Sinne Su­vins voll­zieht sich in­ner­halb der fik­tio­na­len Welt und damit auf einer Ebene, für die der For­ma­lis­mus keine Be­schrei­bungs­werk­zeu­ge be­reit­hält. Auf­schluss­reich ist dies­be­züg­lich eine Pas­sa­ge, in der Suvin die Brü­cke von Brechts epi­schem Thea­ter zur SF schlägt: „In SF the at­ti­tu­de of es­tran­ge­ment – used by Brecht in a dif­fe­rent way, wi­t­hin a still pre­do­mi­nant­ly ‚rea­lis­tic‘ con­text – has grown into the for­mal frame­work of the genre“ (19). Nach­dem er zuvor na­tu­ra­lis­ti­sche und ver­frem­de­te Li­te­ra­tur un­ter­schie­den hat, muss er nun aus­ge­rech­net für Brecht, den Ver­frem­dungs­schrift­stel­ler par ex­cel­lence, die Mög­lich­keit von Ver­frem­dung in­ner­halb eines „pre­do­mi­nat­ly ‚rea­lis­tic‘ con­text“ ein­räu­men, ob­wohl dies in sei­ner Vie­rer­ma­trix gar nicht vor­ge­se­hen ist. Warum das Ma­nö­ver nötig ist, dürf­te klar sein: Ent­ge­gen Su­vins Ein­schät­zung ist es ge­ra­de Brecht, dem Ver­frem­dung als „for­mal frame­work“ dient. Die Welt sei­ner Stü­cke ist im Ge­gen­satz zu SF, Mär­chen und Fan­ta­sy da­ge­gen rea­lis­tisch. Weil ihm das Kon­zept der fik­tio­na­len Welt fehlt, muss Suvin alles, was SF aus­macht, in die for­ma­le Ka­te­go­rie der Ver­frem­dung hin­ein­pa­cken, was schlech­ter­dings nicht funk­tio­nie­ren kann. Bei ge­nau­er Lek­tü­re zeigt sich, dass er immer wie­der um die­ses Pro­blem kreist, es aber nie in den Griff kriegt. Das wird auch im letz­ten Ka­pi­tel des ers­ten Teils deut­lich, wel­ches das Novum zum Thema hat. Der Be­griff des No­vums ist wohl Su­vins er­folg­reichs­te Wort­schöp­fung; es be­zeich­net be­kannt­lich jenes Ele­ment, das die je­wei­li­ge SF-Welt von der em­pi­ri­schen Rea­li­tät un­ter­schei­det, SF von Nicht-SF trennt. Par­al­lel zur Be­stim­mung als ko­gni­ti­ve Ver­frem­dung lässt sich SF auch via Novum de­fi­nie­ren: „SF is dis­tin­gu­is­hed by the nar­ra­ti­ve do­mi­nan­ce or he­ge­mo­ny of a fic­tion ‚novum‘ (no­vel­ty, in­no­va­ti­on) va­li­da­ted by co­gni­ti­ve logic“ (79). Suvin be­tont dabei den he­ge­mo­nia­len Cha­rak­ter des No­vums; ein rich­ti­ges SF-No­vum ist kein blo­ßes Gad­get, son­dern „so cen­tral and si­gni­fi­cant that it de­ter­mi­nes the whole nar­ra­ti­ve logic“ (87). Es ist die To­ta­li­tät des No­vums, wel­che die fik­tio­na­le Welt so um­fas­send ver­än­dert, dass sie für den Leser als fremd – re­spek­ti­ve wun­der­bar – er­scheint.

Bei der Frage, was das Novum von an­de­ren wun­der­ba­ren Ele­men­ten, etwa ma­gi­schen Uten­si­li­en der Fan­ta­sy, un­ter­schei­det, führt Suvin einen ähn­li­chen Ei­er­tanz auf wie zu Be­ginn, als er die SF als an­ge­mes­se­nen For­schungs­ge­gen­stand wür­di­gen und zu­gleich min­der­wer­ti­ge Ver­tre­ter aus­gren­zen will. Er ist sicht­lich darum be­müht, von nai­ven Fan-Po­si­tio­nen ab­zu­rü­cken, wel­che die Wis­sen­schaft­lich­keit der SF – im Sinne na­tur­wis­sen­schaft­lich-tech­ni­scher Mach­bar­keit – be­to­nen oder SF mit Fu­tu­ro­lo­gie gleich­set­zen. Zu­gleich muss er aber eine klare Gren­ze zu Nicht-SF zie­hen. Das Re­sul­tat ist eine Reihe hoch­ge­sto­che­ner, alles in allem aber nur mäßig er­hel­len­der Um­schrei­bun­gen: „The novum is pos­tu­la­ted and va­li­da­ted by the post-Car­te­si­an and post-Ba­co­ni­an sci­en­ti­fic me­thod“ (81). Was SF von be­nach­bar­ten Gen­res un­ter­schei­de, sei „the pre­sence of sci­en­ti­fic co­gni­ti­on as the sign or cor­re­la­ti­ve of a me­thod (way, ap­proach, at­mo­s­phe­re, sen­si­bi­li­ty) iden­ti­cal to that of a mo­dern phi­lo­so­phy of sci­ence“ (81). Der rhe­to­ri­sche Auf­wand, den Suvin hier be­treibt, ist be­trächt­lich, führt aber zu wenig mehr als der Aus­sa­ge, dass das Genre ir­gend­wie wis­sen­schaft­lich sei. Auf­fal­lend ist zudem, dass er kaum il­lus­trie­ren­de Bei­spie­le an­führt, und wenn, dann keine ty­pi­schen SF-Ro­ma­ne.

Spä­ter, wenn er aus­führ­li­cher auf das Oeu­vre H. G. Wellsʼ ein­geht, schreibt Suvin, das Novum sei bei die­sem „al­ways cloa­ked in pseu­do-sci­en­ti­fic ex­pla­na­ti­on, the pos­si­bi­li­ty of which turns out, upon clo­ser in­spec­tion, to be no more than a con­ju­ring trick“ (234). Wells, der als zen­tra­le Figur in der Ent­ste­hung der mo­der­nen SF prä­sen­tiert wird, scheint somit ziem­lich weit weg von einer „post-Car­te­si­an and post-Ba­co­ni­an sci­en­ti­fic me­thod“. Zu­gleich zeigt sich hier und an an­de­ren Stel­len, dass Suvin durch­aus er­kennt, was SF tat­säch­lich aus­zeich­net. So be­zeich­net er SF schon ganz zu Be­ginn als „a de­ve­l­o­ped oxy­mo­ron, a rea­lis­tic ir­rea­li­ty, with hu­ma­ni­zed non­hu­mans, this-world­ly Other World“ (2). All diese Um­schrei­bun­gen lau­fen dar­auf hin­aus, dass das wun­der­ba­re Novum in der SF eine (pseu­do-)rea­lis­ti­sche, (pseu­do-)wis­sen­schaft­li­che Ein­klei­dung er­hält. Suvin sieht zwar in der Ver­frem­dung den for­ma­len Rah­men der SF, tat­säch­lich ver­hält es sich aber genau um­ge­kehrt: Auf for­ma­ler Ebene macht SF nicht das Ver­trau­te fremd, son­dern das Frem­de ver­traut. Nicht Ver­frem­dung, son­dern Na­tu­ra­li­sie­rung ist die zen­tra­le for­ma­le Funk­ti­on der SF (vgl. Spie­gel 50). Suvin scheint die­sen Me­cha­nis­mus zwar zu er­ken­nen, kämpft aber auch hier wie­der damit, dass sein for­ma­lis­ti­scher An­satz nicht genug Be­schrei­bungs­ebe­nen be­reit­hält, um zwi­schen wun­der­ba­rer On­to­lo­gie und qua­si-rea­lis­ti­scher Dar­stel­lungs­wei­se der je­wei­li­gen fik­tio­na­len Welt un­ter­schei­den zu kön­nen.

Zu den wenig be­leuch­te­ten As­pek­ten der MoSF ge­hört der Um­stand, dass diese kei­nen durch­kom­po­nier­ten Text dar­stel­len, son­dern eine Zu­sam­men­stel­lung ver­schie­de­ner, teil­wei­se be­reits er­schie­ne­ner Texte. Diese wur­den zwar über­ar­bei­tet, das Er­geb­nis wirkt aber vor allem im ers­ten Teil nicht wie eine Mo­no­gra­fie aus einem Guss, son­dern mehr wie eine Auf­satz­samm­lung. So gibt es zwi­schen den ers­ten bei­den Ka­pi­teln „Es­tran­ge­ment and Co­gni­ti­on“, das be­reits 1972 als „On the Poe­tics of the Sci­ence Fic­tion Genre“ er­schien, und „SF and the Ge­no­lo­gi­cal Jung­le“ zahl­rei­che, teil­wei­se ver­wir­ren­de Über­schnei­dun­gen. Das drit­te Ka­pi­tel ver­schiebt den Fokus dann ziem­lich un­ver­mit­telt Rich­tung Uto­pie. Von SF ist vor­erst nicht mehr die Rede, statt­des­sen wer­den ver­schie­de­ne De­fi­ni­tio­nen der li­te­ra­ri­schen Uto­pie re­fe­riert, an­hand derer Suvin schließ­lich seine ei­ge­ne her­lei­tet. Im Ge­gen­satz zu den vor­an­ge­gan­ge­nen Ka­pi­teln, in denen er darum be­müht ist, das Feld der SF-For­schung aus­zu­wei­ten und auch aus­ge­spro­che­ne Nicht-Gen­re-Au­to­ren zu in­te­grie­ren, ver­fährt Suvin im Falle der Uto­pie an­ders. Eines sei­ner Haupt­an­lie­gen ist, die Uto­pie nicht als phi­lo­so­phi­sches, so­zio­lo­gi­sches oder po­li­ti­sches Kon­zept, son­dern als li­te­ra­ri­sches Genre zu de­fi­nie­ren. Ob­wohl ins­be­son­de­re Ernst Bloch mit sei­nem Prin­zip Hoff­nung eine zen­tra­le Re­fe­renz dar­stellt – von ihm stammt auch der Be­griff des No­vums –, ver­steht Suvin die Uto­pie im Ge­gen­satz zu die­sem ex­pli­zit nicht als an­thro­po­lo­gi­sches Prin­zip, son­dern als „ver­bal con­struc­tion of a par­ti­cu­lar qua­si-hu­man com­mu­ni­ty where so­cio­po­li­ti­cal in­sti­tu­ti­ons, norms, and in­di­vi­du­al re­la­ti­ons­hips are or­ga­ni­zed ac­cor­ding to a more per­fect prin­ciple than in the aut­hor’s com­mu­ni­ty“ (63).

Auch wenn Suvin erst am Ende die­ses Ka­pi­tels wie­der auf SF zu spre­chen kommt, neh­men die Aus­füh­run­gen zur Uto­pie eine wich­ti­ge Stel­lung in sei­ner Ar­gu­men­ta­ti­on ein. An der Uto­pie wird das Ver­frem­dungs­prin­zip be­son­ders deut­lich sicht­bar. Wie Suvin aus­führt – und dies­be­züg­lich trifft er sich mit der ak­tu­el­len Uto­pie­for­schung (vgl. etwa Schöl­der­les Stu­die Uto­pia und Uto­pie) – geht es der Uto­pie in ers­ter Linie darum, ein Ge­gen­bild zur Ge­gen­wart, in der sie ent­stan­den ist, zu ent­wer­fen, um auf diese Weise deren De­fi­zi­te kennt­lich zu ma­chen. Da der Plot bei der klas­si­schen Uto­pie im Hin­ter­grund steht und nur als Rah­men für die Be­schrei­bung des uto­pi­schen Staa­tes dient, tritt in ihr das Prin­zip der ko­gni­ti­ven Ver­frem­dung in sei­ner reins­ten Form auf. In die­sem Sinne ist auch die oft zi­tier­te – und kri­ti­sier­te – For­mu­lie­rung zu ver­ste­hen, „uto­pia is not a genre but the so­cio­po­li­ti­cal sub­gen­re of sci­ence fic­tion“ (76). Li­te­ra­tur­his­to­risch be­trach­tet ist diese Be­haup­tung ein­deu­tig falsch – es gibt keine di­rek­te Ab­stam­mungs­li­nie, die von Morusʼ Uto­pia zur Gerns­back und Gol­den-Age-SF füh­ren würde. Doch muss man sich an die­ser Stel­le ein­mal mehr in Er­in­ne­rung rufen, dass Suvin mit SF nicht das his­to­ri­sche Genre glei­chen Na­mens, son­dern ein all­ge­mei­nes Prin­zip meint. Es geht nicht um eine li­te­ra­tur­his­to­ri­sche Her­lei­tung, son­dern darum, dass ko­gni­ti­ve Ver­frem­dung, die in der SF oft nur in aus­ge­dünn­ter und tri­via­li­sier­ter Form zu fin­den ist, in der Uto­pie in Rein­form auf­tritt. Die Uto­pie ist also we­ni­ger ein „Sub­gen­re“ der su­vinschen SF, son­dern eher ihr kon­zep­tio­nell-for­ma­ler Nu­kle­us. Mit die­sem Ver­ständ­nis von Uto­pie und SF ist Suvin nicht al­lein. Fred­ric Ja­me­son und in sei­nem Ge­fol­ge ein nicht un­be­deu­ten­der Teil der an­glo­ame­ri­ka­ni­schen SF-For­schung folgt dem glei­chen An­satz.5

Wie zu Be­ginn aus­ge­führt, wurde der zwei­te Teil der MoSF, der sich mit der Ge­schich­te der SF be­schäf­tigt, kaum re­zi­piert. Dies mag ver­schie­de­ne Grün­de haben, einer dürf­te aber zwei­fel­los sein, dass Suvin sich schlicht nicht mit mo­der­ner SF aus­ein­an­der­setzt. Die ein­zi­gen Au­to­ren des 20. Jahr­hun­derts, auf die er aus­führ­li­cher ein­geht, sind H. G. Wells und Karel Čapek. Die­ser un­ge­wohn­te Fokus ist kein Zu­fall, son­dern folgt di­rekt aus sei­nem Ver­ständ­nis des Gen­res. SF ist bei ihm „a sub­mer­ged or ple­bei­an ‚lower li­te­ra­tu­re‘ ex­pres­sing the ye­arnings of pre­vious­ly re­pres­sed or at any rate non­he­ge­mo­nic so­ci­al groups“ (135). Als sol­che ist sie eine sub­ver­si­ve Li­te­ra­tur und ihre Ge­schich­te ein stän­di­ger Kampf ein­zel­ner kri­ti­scher Au­to­ren wie Morus, Cy­ra­no oder Swift gegen eine Ob­rig­keit, die jeg­li­che Kri­tik im Keim er­sti­cken will. Aus ihrer na­tür­li­chen Volks­ver­bun­den­heit folgt auch, dass die SF mit der In­dus­tria­li­sie­rung des 19. Jahr­hun­derts zwangs­läu­fig zur pro­le­ta­ri­schen und re­vo­lu­tio­nä­ren Li­te­ra­tur wird. In die­ser al­ter­na­te his­to­ry des Gen­res ist SF somit nicht Teil einer kom­mer­zi­el­len Un­ter­hal­tungs­li­te­ra­tur, son­dern In­stru­ment im an­ti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Kampf. Die­ser An­satz wird just in dem Mo­ment zum Pro­blem, als sich SF als ei­gen­stän­di­ges Genre eta­bliert. Statt seine kri­ti­sche Wir­kung voll aus­zu­spie­len, wird das Genre nun vom Ka­pi­ta­lis­mus kor­rum­piert; in der Folge wer­den die we­ni­gen ech­ten Ver­tre­ter mar­gi­na­li­siert, und die ple­be­ji­schen Mas­sen krie­gen statt kri­ti­scher Li­te­ra­tur ver­dum­men­de Dut­zend­wa­re ohne jeden ko­gni­ti­ven Wert vor­ge­setzt.

In sei­ner Ge­schich­te der SF muss Suvin immer wie­der Ab­wehr­ge­fech­te füh­ren und große Ge­bie­te aus dem Genre aus­gren­zen. Die Tra­di­ti­on der Go­t­hic Novel etwa wird nur im Zu­sam­men­hang mit Fran­ken­stein (1815) kurz er­wähnt und dabei maß­geb­lich für die Schwä­chen von Mary Shel­leys Roman ver­ant­wort­lich ge­macht. Edgar Allan Poe – „with Mary Shel­ly the first si­gni­fi­cant fi­gu­re in this tra­di­ti­on to make a li­ving by wri­ting for pe­ri­o­di­cals“ (161) – hat zwar auch in Su­vins Augen einen im­men­sen Ein­fluss auf die Ent­wick­lung des Gen­res und kann sogar als „the first theo­re­ti­ci­an of SF“ (164) gel­ten, den­noch – oder zu­gleich – ist er nicht we­ni­ger als „the ori­gi­na­tor of what is least ma­tu­re in the wri­ting com­mer­ci­al­ly pedd­led as SF“ (162).

Das 19. Jahr­hun­dert, das von den meis­ten SF-His­to­ri­kern als jene Epo­che be­trach­tet wird, in denen sich die mo­der­ne SF all­mäh­lich for­mier­te – pri­mär als Folge der in­dus­tri­el­len Re­vo­lu­ti­on –, er­scheint bei Suvin eher als eine Phase des Nie­der­gangs, in der sich die spä­te­re völ­li­ge Ver­ein­nah­mung be­reits an­bahnt. Mit dem Auf­stieg des Ka­pi­ta­lis­mus geht eine „increasing closure of liberal bourgeois horizons“ (193) ein­her, womit auch immer we­ni­ger Platz für (echte) SF bleibt. Eine Aus­nah­me bil­den ge­nu­in so­zia­lis­ti­sche Uto­pi­en wie Ed­ward Bel­l­amys Loo­king Back­ward (1888) und Wil­li­am Mor­ris’ News from Now­he­re (1890), auf die Suvin aus­führ­lich ein­geht.

Kapitän Nemo

Jules Ver­nes Hel­den blei­ben zum Frem­den auf Dis­tanz.

Mit Jules Verne, dem ein Ka­pi­tel ge­wid­met ist, geht Suvin über­ra­schend freund­lich um. Er be­zeich­net ihn trotz ideo­lo­gi­scher De­fi­zi­te, die die­ser als bür­ger­li­cher Er­folgs­au­tor zwangs­läu­fig hat, als „one of the sha­pers of mo­dern SF“ (184). Die po­li­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se schrän­ken Verne frei­lich stark ein, ent­spre­chend muss die Ein­schät­zung als ech­ter SF-Au­tor re­la­ti­viert wer­den. Suvin spricht an die­ser Stel­le lie­ber von „no­vels of sci­ence“ als von SF, denn echte Nova habe Verne nur sel­ten zu bie­ten. Nemos Nau­ti­lus, das Mond­ge­schoss und an­de­re von Ver­nes Er­fin­dun­gen füh­ren sel­ten in wirk­lich frem­de Wel­ten; Ver­nes Hel­den ent­deck­ten nur, was oh­ne­hin schon be­kannt sei – so um­krei­sen die Mond­rei­sen­den den Erd­tra­ban­ten le­dig­lich und be­tre­ten ihn nie –, und keh­ren am Ende, nach hek­ti­schen Rei­sen, je­weils in die be­kann­te Welt zu­rück.

Ob­wohl an­schlie­ßend noch je ein Ka­pi­tel zur rus­si­schen SF und zu Karel Čapek – ein Autor, der heute den meis­ten nur noch als Er­fin­der des Wor­tes „Ro­bo­ter“ be­kannt sein dürf­te – folgt, bil­den die bei­den Ka­pi­tel zu H. G. Wells im Grun­de den Ab­schluss von Su­vins SF-His­to­rie. Wells er­scheint als der Autor, wel­cher dem Genre sein mo­der­nes Ge­wand ver­lie­hen hat, er ist „the cen­tral wri­ter in the tra­di­ti­on of SF“ (244). Zu­gleich ha­dert Suvin mit ihm. Wells be­zeich­ne­te sich selbst zwar als So­zia­lis­ten, war po­li­tisch aber den­noch schwie­rig zu fas­sen. Er über­warf sich mit den bri­ti­schen Fa­bia­nis­ten, be­wun­der­te Lenin und nahm im Laufe sei­nes Le­bens in zahl­rei­chen Fra­gen sehr un­ter­schied­li­che Po­si­tio­nen ein. Ähn­lich in sei­nen Ro­ma­nen: Ge­nüss­lich legt er in The War of the Worlds (1898) das bri­ti­sche Em­pi­re in Schutt und Asche (womit er das Mo­dell für un­zäh­li­ge fol­gen­de In­va­si­ons­sze­na­ri­en, nicht zu­letzt im SF-Ki­no, schuf) und macht in The Time Ma­chi­ne (1895) die mü­ßig­gän­ge­ri­sche Bour­geoi­sie der Elois zum Schlacht­vieh der Mor­locks. Sei­ner Kri­tik an der eng­li­schen Ober­schicht steht aber eine eben­so ve­he­men­te Ab­leh­nung der Un­ter­schicht – wel­cher er selbst ent­stamm­te – ge­gen­über. In uto­pi­schen Ent­wür­fen wie A Mo­dern Uto­pia (1905) oder The Shape of Things to Come (1933) liegt das po­li­ti­sche Ge­schick stets in den Hän­den einer tech­no­kra­ti­schen Elite. Dass Suvin Wellsʼ Oeu­vre sehr un­ter­schied­lich be­wer­tet, kann somit nicht über­ra­schen. Trotz teil­wei­se gro­ßer Vor­be­hal­te ge­gen­über ein­zel­nen Wer­ken be­steht an des­sen zen­tra­ler Rolle aber den­noch kein Zwei­fel: „all sub­se­quent si­gni­fi­cant SF can be said to have sprung from Wellsʼs Time Ma­chi­ne“ (246).

Das Wie­der­le­sen von Klas­si­kern kann sehr un­ter­schied­li­che Ef­fek­te haben. Im bes­ten Fall ist man po­si­tiv über­rascht, wie ak­tu­ell ein be­stimm­tes Buch noch ist, wie viel Wert­vol­les, mitt­ler­wei­le aber Ver­ges­se­nes es in dem Text noch zu ber­gen gibt. Auch das Ge­gen­teil kann ein­tre­ten: Ver­wun­de­rung dar­über, wie es ein Werk je zu sei­nem Sta­tus ge­bracht hat. Warum die MoSF der­art wir­kungs­reich waren, dürf­te ver­schie­de­ne Grün­de haben. Das Buch er­schien zum rich­ti­gen Zeit­punkt, und mit dem Novum und dem Prin­zip der ko­gni­ti­ven Ver­frem­dung ent­hielt es zwei Kon­zep­te, die sich als äu­ßerst frucht­bar er­wie­sen. Dass Su­vins Ver­ständ­nis von Ver­frem­dung wi­der­sprüch­lich ist, dürf­te sich dabei lang­fris­tig sogar als Vor­teil ent­puppt haben. Es er­mög­lich­te nach­fol­gen­den Au­to­ren, alles Mög­li­che unter dem Be­griff zu fas­sen.

So wich­tig Su­vins Buch his­to­risch zwei­fel­los ist, heu­ti­gen Le­sern hat es er­staun­lich wenig zu sagen. Die Zeit hat es nicht gut mit den MoSF ge­meint und ihr Autor scheint sich des­sen bis zu einem ge­wis­sen Grad auch be­wusst zu sein. Wie Suvin, der in Za­greb ge­bo­ren wurde, einen gro­ßen Teil sei­ner aka­de­mi­schen Lauf­bahn in Ka­na­da ver­brach­te und heute in Ita­li­en lebt, sel­ber schreibt, ver­fass­te er sein Buch zu einem Zeit­punkt, als zu­min­dest in sei­nen Augen noch Hoff­nung für das so­zia­lis­ti­sche Pro­jekt be­stand. Su­vins re­so­lu­te Be­wer­tun­gen sind immer von der Ge­wiss­heit ge­tra­gen, dass die Ge­schich­te ihm der­einst Recht geben, dass sich die Wahr­heit am Ende durch­set­zen werde. Es ist gründ­lich an­ders ge­kom­men. Ob man dies nun be­grüßt oder be­dau­ert – große Teile der MoSF wir­ken heute ver­al­tet und selt­sam rea­li­täts­fremd. Su­vins Feld­zug für eine kri­ti­sche SF hatte schon 1979 etwas von einem Kampf gegen Wind­müh­len, fast 40 Jahre spä­ter, in einem Zeit­al­ter von Su­per­hel­den-Block­bus­tern und end­lo­sen Star-Wars-Se­quels, wirkt er wie ein Zwi­schen­ruf aus einem Par­al­lel­uni­ver­sum.

Suvin selbst ist sei­ner Sache – lei­der, muss man sagen – treu ge­blie­ben. Davon zeu­gen nicht zu­letzt die drei Ar­ti­kel, die der Neu­auf­la­ge bei­ge­fügt wur­den. Wirk­lich Neues ist in ihnen nicht zu fin­den, viel­mehr ver­stär­ken sich in ihnen ver­schie­de­ne Ten­den­zen, die schon in den MoSF ne­ga­tiv auf­fal­len. Dazu ge­hö­ren die schar­fe Ab­leh­nung nicht ge­neh­mer Texte, ein oft un­nö­tig müh­sa­mer Stil, das wilde Zi­tie­ren von Au­to­ren und phi­lo­so­phi­schen Kon­zep­ten, ohne ver­tieft auf diese ein­zu­ge­hen, und – vor allem – immer we­ni­ger Be­schäf­ti­gung mit li­te­ra­ri­schen Tex­ten. Bei­spiel­haft hier­für ist der be­reits 2000 er­schie­ne­ne Text „Con­side­ring the Sense of ‚Fan­ta­sy‘ or ‚Fan­tas­tic Fic­tion‘: An Ef­fu­si­on“. An­ge­kün­digt wird Um­stürz­le­ri­sches: In kom­plet­tem Wi­der­spruch zu frü­he­ren Aus­sa­gen ge­steht Suvin nun auch Fan­ta­sy und an­ver­wand­ten For­men die Mög­lich­keit zu, ko­gni­tiv ver­frem­dend zu wir­ken. Die­ses Zu­ge­ständ­nis kommt frei­lich nicht ohne die ge­wich­ti­ge Ein­schrän­kung, dass ein Groß­teil des Gen­res nach wie vor – oder umso mehr – Schrott sei. Fan­ta­sy ist für Suvin ein ahis­to­ri­sches Genre, „de­ny­ing his­to­ry as so­cio-eco­no­mic la­w­ful­ness“ (405), und Ge­gen­bei­spie­le wie Sa­mu­el R. De­la­nys Nevèrÿon-Reihe, „con­cer­ned with such his­to­ri­cal mat­ters as gen­der iro­nies, slave re­volt, and the rise of pa­tri­ar­chy and of AIDS, fit un­e­a­si­ly into, or to my mind most­ly fall out of, Fan­ta­sy“ (404). Die für die SF er­ho­be­ne For­de­rung, ein Genre stets von sei­nem Hö­hen­kamm aus zu be­ur­tei­len, scheint für die Fan­ta­sy nicht zu gel­ten. Werke wie die De­la­nys oder Le Guins, die Su­vins Zu­stim­mung fin­den, sind ei­gent­lich keine echte Fan­ta­sy.

Fast noch ent­ner­ven­der als diese Rich­tig­stel­lung, die sich weit­ge­hend als eine Be­stä­ti­gung alter Po­si­tio­nen ent­puppt, ist aber ein­mal mehr, dass Suvin sich kaum die Mühe macht, mal aus­führ­li­cher auf einen Text ein­zu­ge­hen. Statt­des­sen ver­bringt er Sei­ten damit, über den schlech­ten Zu­stand der Welt zu la­men­tie­ren und Marx zu re­fe­rie­ren.

Die­ses evi­den­te Ab­rü­cken von tra­di­tio­nel­ler Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft ist Pro­gramm, Suvin selbst spricht in neue­ren Tex­ten in Bezug auf sein Vor­ha­ben gerne von „po­li­ti­cal epis­te­mo­lo­gy“. In Zei­ten eines ent­fes­sel­ten Ka­pi­ta­lis­mus reicht es nicht, bloß über SF zu schrei­ben, „but also ta­king on with phi­lo­lo­gi­cal tools, ac­cor­ding to one’s com­pe­tence and con­sci­ence […] the Or­wel­li­an dis­cour­se about war, ter­ro­rism, im­mi­grants, and si­mi­lar is­su­es“ (450). Kein Rück­zug in den El­fen­bein­turm, son­dern Ar­beit am re­vo­lu­tio­nä­ren Pro­jekt. Dem wäre ent­ge­gen­zu­hal­ten, dass Suvin in sei­nen Tex­ten kaum je auf kon­kre­te po­li­ti­sche Miss­stän­de und Maß­nah­men ein­geht, son­dern in einem dif­fu­sen Zwi­schen­be­reich zwi­schen Li­te­ra­tur, Po­li­tik und Phi­lo­so­phie schwebt. Seine po­li­ti­sche Er­kennt­nis­theo­rie ist damit weder als li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­li­che Me­tho­de noch als Werk­zeug po­li­ti­scher Ak­ti­on wirk­lich be­frie­di­gend.

Zi­tier­te Werke

Bould, Mark und China Miéville, Hg. Red Pla­nets: Mar­xism and Sci­ence Fic­tion. Midd­le­town: Wes­ley­an UP, 2009.

Freed­man, Carl. Cri­ti­cal Theo­ry and Sci­ence Fic­tion. Midd­le­town: Wes­ley­an UP, 2000.

Ja­me­son, Fred­ric. Ar­chaeo­lo­gies of the Fu­ture: The De­si­re Cal­led Uto­pia and other Sci­ence Fic­tions. Lon­don: Verso, 2005.

Mo­y­lan, Tom. De­mand the Im­pos­si­ble: Sci­ence Fic­tion and the Uto­pi­an Ima­gi­na­ti­on. 1986. Hg. Raf­fa­el­la Bac­co­li­ni. Ox­ford: Lang, 2014.

Parr­in­der, Pa­trick, Hg. Learning From Other Worlds: Es­tran­ge­ment, Co­gni­ti­on, and the Po­li­tics of Sci­ence Fic­tion. Li­ver­pool: Li­ver­pool UP, 2001.

Schöl­der­le, Tho­mas. Uto­pia und Uto­pie: Tho­mas Morus, die Ge­schich­te der Uto­pie und die Kon­tro­ver­se um ihren Be­griff. Ba­den-Ba­den: Nomos, 2011.

Spie­gel, Simon. Die Kon­sti­tu­ti­on des Wun­der­ba­ren: Zu einer Poe­tik des Sci­ence-Fic­tion-Films. Mar­burg: Schü­ren, 2007.

Suvin, Darko. „On the Poe­tics of the Sci­ence Fic­tion Genre”. Col­le­ge Eng­lish 34.3 (1972): 372–82.

—. Vic­to­ri­an Sci­ence Fic­tion in the UK: The Dis­cour­se of Know­ledge and of Power. Bos­ton; Hall, 1983.

To­do­rov, Tz­ve­tan. Ein­füh­rung in die fan­tas­ti­sche Li­te­ra­tur. 1970. Frank­furt/M.: Fi­scher, 1992.

Suvin, Darko. Me­ta­mor­pho­ses of Sci­ence Fic­tion: On the Poe­tics and
His­to­ry of a Li­tera­ry Genre
. 1979. Hg. Gerry Ca­na­van. Ox­ford: Lang, 2016.

  1. Siehe dazu unter an­de­rem Parr­in­der, Freed­man, Bould und Miéville, Spie­gel.[]
  2. Die nor­ma­ti­ve Ten­denz ver­stärkt sich in spä­te­ren Tex­ten teil­wei­se noch. In Su­vins 1983 er­schie­ne­nem Buch zur vik­to­ria­ni­schen SF – einem Werk, das mit we­ni­gen Aus­nah­men von der For­schung kom­plett igno­riert wurde – ist sogar eine „List of 101 Vic­to­ri­an Books That Should Be Ex­clu­ded From SF Bi­blio­gra­phies“ ent­hal­ten.[]
  3. Mit ‚Fan­ta­sy‘ ist nicht Epic Fan­ta­sy im Stile Tol­ki­ens ge­meint, son­dern vor allem Hor­ror und ver­wand­te For­men (409). Tat­säch­lich fällt der Name Tol­ki­ens in der Erst­aus­ga­be der MoSF nie.[]
  4. In der neuen Ein­lei­tung ent­wirft er ein dif­fe­ren­zier­te­res Ras­ter mit neun ver­schie­de­nen Ka­te­go­ri­en (xl­vi­ii); ob die­ses tat­säch­lich nütz­li­cher ist als sein Vor­gän­ger, scheint mir al­ler­dings zwei­fel­haft.[]
  5. Auf der Rück­sei­te des Bu­ches fin­det sich denn auch ein „Blurb“ von Ja­me­son, in dem die­ser her­vor­hebt, dass Su­vins Buch die SF mit „the tra­di­ti­ons of uto­pia as a genre“ wie­der­ver­ei­nigt habe. Siehe dazu auch Ja­me­sons Ar­chaeo­lo­gies of the Fu­ture, das u. a. Suvin und Kim Stan­ley Ro­bin­son ge­wid­met ist. Von Ro­bin­son, für Suvin „the best SF wri­ter who has […] emer­ged from the 1990s“ (451), stammt nicht ganz zu­fäl­lig der zwei­te MoSF-Blurb.[]

Vergesst das All – Zu Kim Stanley Robinsons «Aurora»

Er­schie­nen in der Zeit­schrift für Fan­tas­tik­for­schung 11, 2016.

Aurora„Es stimmt, die Erde ist die Wiege der Mensch­heit, aber der Mensch kann nicht ewig in der Wiege blei­ben. Das Son­nen­sys­tem wird unser Kin­der­gar­ten.“ (zit. nach Kulke 41) – Die­ser Aus­spruch des rus­si­schen Welt­raum­pio­niers Kon­stan­tin Zio­l­kow­ski wird in SF-Krei­sen gerne zi­tiert; zu­letzt be­son­ders pro­mi­nent glon Chris­to­pher Nolans In­ter­stel­lar (US/GB 2014), des­sen Tag­li­ne „Man­kind was born on Earth. It was never meant to die here“ un­miss­ver­ständ­lich auf Zio­l­kow­skis Dik­tum an­spielt und der ent­spre­chend zeigt, wie die Mensch­heit mit­tels Zeit­rei­se­pa­ra­do­xon und einer ge­hö­ri­gen Por­ti­on Va­ter­lie­be so­wohl der Wiege als auch dem Kin­der­gar­ten ent­wächst und sich in einer fer­nen Ga­la­xie breit­macht (vgl. Sie­be­n­ei­cher, Spie­gel „Nach­richt“). Kim Stan­ley Ro­bin­sons jüngs­ter Roman Au­ro­ra steht eben­falls im Dia­log mit Zio­l­kow­ski. Wäh­rend In­ter­stel­lar – und mit ihm ein be­deu­ten­der Teil der Welt­raum-SF – Zio­l­kow­ski aber grund­sätz­lich folgt und eine Zu­kunft der Mensch­heit au­ßer­halb des Son­nen­sys­tems ent­wirft, nimmt Ro­bin­son de­zi­diert die Ge­gen­po­si­ti­on ein. Es wäre nur wenig über­trie­ben, Au­ro­ra als buch­lan­ge Wi­der­le­gung Zio­l­kow­skis zu be­zeich­nen. Denn für Ro­bin­son be­steht kein Zwei­fel: Die Wei­ten des Alls sind der Mensch­heit ver­schlos­sen und wer­den es bis auf Wei­te­res auch blei­ben. Es bleibt uns somit nichts an­de­res übrig, als uns mit dem Son­nen­sys­tem und ins­be­son­de­re der Erde zu be­gnü­gen.1

Diese Über­zeu­gung mag bei einem Autor er­stau­nen, des­sen be­kann­tes­tes Werk – die so ge­nann­te Mars-Tri­lo­gie Red Mars (1993), Green Mars (1994) und Blue Mars (1996) – in bis dahin nicht ge­kann­tem De­tail­reich­tum das Ter­ra­for­ming des Roten Pla­ne­ten be­schreibt und der somit als Für­spre­cher einer Be­sie­de­lung des Alls er­scheint. Es wäre frei­lich ein Irr­tum, in den Mars-Ro­ma­nen le­dig­lich ein Plä­doy­er für die Ko­lo­ni­sie­rung des Mars zu sehen. Denn trotz aller Fas­zi­na­ti­on für As­tro­no­mie und Raum­fahrt geht es Ro­bin­son hier, aber auch in sei­nen an­de­ren Bü­chern, weder um den Welt­raum noch um die Zu­kunft, son­dern um das Hier und Jetzt (was letzt­lich für alle SF gilt). Und die­ses Hier und Jetzt macht dem Autor große Sor­gen. Ro­bin­son ist ein er­klär­ter Ka­pi­ta­lis­mus-Kri­ti­ker, dem ins­be­son­de­re öko­lo­gi­sche Be­lan­ge am Her­zen lie­gen.2 In meh­re­ren Ar­ti­keln und In­ter­views, die im Nach­gang zu Au­ro­ra er­schie­nen sind, sowie im nach­ste­hen­den Ge­spräch mit der ZFF macht Ro­bin­son deut­lich,3 dass sein Roman nicht gegen die Er­for­schung des Welt­raums ge­rich­tet ist, son­dern viel­mehr als Mahn­ruf ge­dacht ist: „If we don’t crea­te sustaina­bi­li­ty on our own world, there is no Pla­net B“ („What“). Da die tech­ni­schen – und mo­ra­li­schen – Hür­den für die Er­obe­rung des Alls viel zu hoch sind, gibt es für die Mensch­heit bis auf Wei­te­res kei­nen Ort, an den sie ent­flie­hen kann. Folg­lich bleibt uns nichts an­de­res übrig, als der Erde Sorge zu tra­gen. Oder in Zio­l­kow­skis Be­grif­fen: Wenn die Men­schen sich nicht um ihre Wiege küm­mern, wer­den sie sie auch nie ver­las­sen kön­nen.

Zur Il­lus­tra­ti­on sei­nes An­lie­gens be­dient sich Ro­bin­son eines eta­blier­ten SF-Mo­tivs – des Ge­ne­ra­ti­on Star­ship. Ein Ge­ne­ra­ti­on Star­ship oder Ge­ne­ra­tio­nen­schiff ist ein Raum­schiff, das wäh­rend meh­re­rer Jahr­hun­der­te – eben meh­re­rer Ge­ne­ra­tio­nen – im All un­ter­wegs ist; ohne ir­gend­ei­ne Form von FTL-An­trieb stellt dies die ein­zi­ge halb­wegs plau­si­ble Mög­lich­keit dar, Pla­ne­ten au­ßer­halb des Son­nen­sys­tems zu er­rei­chen.

Frei­lich sind die tech­ni­schen Hür­den auch bei die­ser ‚rea­lis­ti­schen‘ Va­ri­an­te in­ter­stel­la­rer Fort­be­we­gung noch immer gi­gan­tisch. Denn ein Ge­ne­ra­tio­nen­schiff muss nicht nur einer genug gro­ßen An­zahl von Men­schen Platz bie­ten, son­dern vor allem als aut­ar­kes Öko­sys­tem funk­tio­nie­ren. Schließ­lich be­steht, ist die Reise ein­mal be­gon­nen, keine Mög­lich­keit, un­ter­wegs feh­len­de Res­sour­cen auf­zu­la­den – seien es nun Treib­stoff, Nah­rung oder Ver­brauchs­tei­le. Ein ent­spre­chen­des Ge­fährt muss somit rie­sig sein; im Falle von Au­ro­ra be­steht das Schiff aus zwei Rin­gen, die um eine rund zehn Ki­lo­me­ter lange Mit­tel­ach­se an­ge­ord­net sind. Diese Ringe sind wie­der­um in je zwölf Kom­par­ti­men­te – so ge­nann­te Biome – un­ter­teilt, in denen je­weils eine an­de­re Kli­ma­zo­ne si­mu­liert wird. Rund 2000 Men­schen leben über die ver­schie­de­nen Zonen ver­teilt.

Zu Be­ginn der Ro­man­hand­lung, An­fangs des 28. Jahr­hun­derts, ist das Schiff be­reits seit 159 Jah­ren un­ter­wegs und mitt­ler­wei­le seit neun Jah­ren dabei, seine Ge­schwin­dig­keit zu dros­seln. Nur noch elf Jahre tren­nen Schiff und Be­sat­zung von ihrem Ziel, einem erd­ähn­li­chen Mond na­mens Au­ro­ra, der einen Pla­ne­ten im Sys­tem Tau Ceti um­kreist. Nach der lan­gen Reise zei­gen sich in der Schiffs­kon­struk­ti­on be­reits zahl­rei­che Er­mü­dungs­er­schei­nun­gen: Es knarrt und stot­tert an allen Ecken und Enden, und die Haupt­fi­gur die­ses Teils, die Chef-In­ge­nieu­rin Devi, hat alle Hände voll zu tun, den Be­trieb auf­recht­zu­er­hal­ten. In für Ro­bin­son cha­rak­te­ris­ti­scher Weise wer­den aus­führ­lich die kom­pli­zier­ten
Kreis­läu­fe im Öko­sys­tem des Schiffs be­schrie­ben. Und ob­wohl Devi eine für Ro­bin­son ty­pi­sche kom­pe­ten­te Hel­din ist – nicht nur in die­ser Hin­sicht steht er durch­aus in der Tra­di­ti­on Ro­bert Hein­leins –, wird be­reits Skep­sis spür­bar, ob es über­haupt mög­lich ist, ein der­art kom­ple­xes Sys­tem über län­ge­re Zeit am Lau­fen zu hal­ten.

Noch gra­vie­ren­der als die tech­ni­schen Her­aus­for­de­run­gen sind al­ler­dings die psy­cho­lo­gi­schen und so­zia­len. Wäh­rend der Fahrt gibt es für die Be­woh­ner eines Ge­ne­ra­tio­nen­schiffs kein Ent­rin­nen, und es liegt in der Natur der Sache, dass die Mehr­heit der Rei­sen­den un­ter­wegs ge­bo­ren wird und auch wie­der stirbt, ohne den Start oder das Ziel der Reise auch nur ge­se­hen zu haben. Nicht allzu ro­si­ge Aus­sich­ten, und es ist somit auch nicht er­staun­lich, dass es bei den meis­ten Ver­tre­tern die­ses Sub­gen­res nicht um das Rei­se­ziel, son­dern um die Aus­wir­kun­gen die­ser ex­tre­men Be­din­gun­gen auf die Be­sat­zung geht. Diese sind oft de­sas­trös: Bei vie­len Au­to­ren kommt es zu be­waff­ne­ten Kon­flik­ten, in deren Ver­lauf Teile der In­fra­struk­tur zer­stört wer­den. In der Folge zer­fällt die so­zia­le Ord­nung und Tech­nik und Kul­tur de­ge­ne­rie­ren; Ziel und Zweck der Ex­pe­di­ti­on tre­ten immer mehr in den Hin­ter­grund und gehen schließ­lich ver­ges­sen, blei­ben nur noch bruch­stück­haft, als Teil von my­thi­schen Er­zäh­lun­gen, er­hal­ten.

Si­mo­ne Ca­ro­ti spricht in sei­nem Buch The Ge­ne­ra­ti­on Star­ship in Sci­ence Fic­tion von einem „for­get­ful­ness pat­tern“ (14), das für das Sub­gen­re ty­pisch sei und be­reits in Ro­bert Hein­leins ur­sprüng­lich 1941 in As­to­un­ding Sci­ence Fic­tion er­schie­ne­nen „Uni­ver­se“4, der ge­mein­hin als Ur­text des Sub­gen­res gilt, voll ent­fal­tet ist: Bei Hein­lein lebt die Be­sat­zung nach jahr­hun­der­te­lan­ger Reise in einem halb bar­ba­ri­schen Zu­stand und weiß längst nicht mehr, dass sie an Bord eines Raum­schiffs lebt; viel­mehr hal­ten die Be­woh­ner das Schiff für die ge­sam­te Welt, au­ßer­halb derer nichts exis­tiert. Die Über­win­dung die­ses Irr­glau­bens, der Teil eines gan­zen re­li­giö­sen Sys­tems ist, steht im Zen­trum des Plots. Die Haupt­fi­gur Hugh Ho­y­land, zu Be­ginn noch treu­er An­hän­ger des Dog­mas, er­kennt schließ­lich die wahre Natur sei­ner Welt. Wen­de­punkt ist der Mo­ment, als er von der Schiffs­brü­cke aus zum ers­ten Mal das All in sei­ner gan­zen Un­er­mess­lich­keit und Ster­nen­pracht sieht. Ein für Hugh er­schüt­tern­des Er­leb­nis, in dem sich ein Mo­ment der Er­ha­ben­heit mit einem Con­cep­tu­al Break­through ver­bin­det, also der – meist schlag­ar­ti­gen – Ein­sicht, dass die Hand­lungs­welt von ganz an­de­ren Ge­set­zen be­herrscht wird als ur­sprüng­lich an­ge­nom­men, „the ad­vent of a pa­ra­digm shift in a so­cie­ty’s un­der­stan­ding of their uni­ver­se“ (Ca­ro­ti 162).

Für Peter Ni­cholls, der den Be­griff des Con­cep­tu­al Break­through ge­prägt hat,5 kommt dem Kon­zept eine her­aus­ra­gen­de Be­deu­tung für die ge­sam­te SF zu; „few sf sto­ries do not have at least some ele­ment of con­cep­tu­al bre­akth­rough“ (Ni­cholls). Ge­ne­ra­tio­nen­schiff-Ro­ma­ne, die dem Mus­ter von „Uni­ver­se“ fol­gen, sind na­tür­lich be­son­ders ge­eig­net für diese Form von Wen­de­punkt und es ist wohl nicht ganz zu­fäl­lig, dass Ni­cholls in sei­nem Ar­ti­kel den Ge­ne­ra­ti­on-Star­ship-Plot als ers­tes Bei­spiel für einen Con­cep­tu­al Break­through an­führt.

Ver­gli­chen mit „Uni­ver­se“ aber auch mit des­sen di­rek­ten Nach­fol­gern wie Brian Al­diss’ Non-Stop (1956) stellt Ro­bin­son das eta­blier­te Mus­ter in mehr­fa­cher Hin­sicht auf den Kopf. In Au­ro­ra ist all­ge­mein be­kannt, wie die Welt be­schaf­fen ist und wohin die Reise geht. An­ders als bei Hein­lein, der sich in „Uni­ver­se“ nicht um tech­ni­sche Fra­gen schert und der Ein­fach­heit hal­ber von einem Raum­schiff aus­geht, das sich sel­ber am Lau­fen hält, liegt der Fokus hier auf den kon­kre­ten Schwie­rig­kei­ten einer sol­chen Reise, die von Ver­schleiß­er­schei­nun­gen über die Fol­gen eines so klei­nen Öko­sys­tems für des­sen Be­woh­ner bis zur Frage rei­chen, wel­che Herr­schafts­form für diese Si­tua­ti­on am bes­ten ge­eig­net ist. Die große Poin­te des Ro­mans liegt aber darin, dass das Schiff zwar sein Ziel er­reicht, dass sich Au­ro­ra aber als zur Be­sie­de­lung gänz­lich un­ge­eig­net er­weist. Ein prio­nen-ähn­li­ches Pa­tho­gen de­zi­miert die Crew, der schein­bar idea­le Mond ent­puppt sich als feind­li­ches Ter­rain. Der Er­re­ger steht dabei stell­ver­tre­tend für Ro­bin­sons grund­sätz­li­ches Ar­gu­ment: Egal, wie ein po­ten­zi­el­ler Sied­lungs­pla­net be­schaf­fen ist, die Chan­ce, ihn er­folg­reich zu ko­lo­ni­sie­ren, ist ver­schwin­dend klein; und letzt­lich sind die Pro­ble­me, die bei der Reise auf­tre­ten – so groß diese auch sein mögen –, ver­nach­läs­sig­bar ge­gen­über den Her­aus­for­de­run­gen, die einen am Ziel er­war­ten. Euan, die Figur, die sich als erste mit dem Pa­tho­gen in­fi­ziert, for­mu­liert es kurz vor sei­nem Tod fol­gen­der­ma­ßen:

What’s funny is an­yo­ne thin­king it would work in the first place. I mean it’s ob­vious any new place is going to be eit­her alive or dead. If it’s alive it’s going to be poi­so­nous, if it’s dead you’re going to have to work it up from scratch. I sup­po­se that could work, but it might take about as long as it took Earth. Even if you’ve got the right bugs, even if you put ma­chi­nes to work, it would take thousands of years. So what’s the point? Why do it at all? Why not be con­tent with what you’ve got? Who were they, that they were so dis­con­tent? Who the fuck were they? (178)

Der Mensch ist durch seine Bio­lo­gie an die Erde ge­bun­den, und die An­pas­sung an frem­de Öko­sys­te­me würde Jahr­tau­sen­de brau­chen. Den Prot­ago­nis­ten von Au­ro­ra bleibt somit nichts an­de­res übrig, als wie­der um­zu­keh­ren.

In der SF-Ge­mein­de hat die­ser An­satz für ei­ni­gen Wir­bel ge­sorgt. Man­che Re­ak­tio­nen auf den Roman fie­len rich­tig­ge­hend ag­gres­siv aus. Die Tat­sa­che, dass mit Ro­bin­son aus­ge­rech­net der elder sta­tes­man der Hard SF dem Traum, die Mensch­heit könne sich in nicht allzu fer­ner Zu­kunft im All aus­brei­ten, die Ab­sa­ge er­teilt, wurde im Web und den so­zia­len Me­di­en nicht von allen gou­tiert (vgl. z.B. Ni­coll; Pris­co sowie Bax­ter, Ben­ford und Mil­ler).6

Über­ra­schend sind diese Re­ak­tio­nen nicht, denn Ro­bin­son will mit Au­ro­ra er­klär­ter­ma­ßen eine Bot­schaft ver­mit­teln. Un­ab­hän­gig davon, ob seine Ar­gu­men­ta­ti­on nun stich­hal­tig ist oder nicht, ist die Ve­he­menz, mit der er seine Po­si­ti­on ver­tritt, er­zäh­le­risch nicht ganz be­frie­di­gend. Dies be­trifft ins­be­son­de­re den sehr se­lek­ti­ven wis­sen­schaft­lich-tech­ni­schen Fort­schritt in der Welt des Ro­mans. Zwar gib es eine künst­li­che In­tel­li­genz mit be­acht­li­chen Fä­hig­kei­ten (dazu spä­ter mehr) und 3D-Dru­cker, wel­che die Her­stel­lung von prak­tisch jedem Ob­jekt er­mög­li­chen, in an­de­ren Be­rei­chen scheint das 27. und 28. Jahr­hun­dert von Au­ro­ra aber nur un­we­sent­lich wei­ter fort­ge­schrit­ten als un­se­re Ge­gen­wart. Der man­cher­orts er­ho­be­ne Vor­wurf, dass Ro­bin­son mit ge­zink­ten Kar­ten spie­le und alles so ar­ran­giert habe, dass sei­nen Prot­ago­nis­ten gar nichts an­de­res übrig bleibt als die Rück­kehr zur Erde, ist nicht ganz von der Hand zu wei­sen (vgl. Ben­ford). Dies umso mehr, als es dem Teil der Mann­schaft, der sich schließ­lich zur Rück­kehr ent­schließt – der Rest bleibt mit der Hälf­te des Schiffs zu­rück –, im ent­schei­den­den Mo­ment ge­lingt, ein Ver­fah­ren zu Kryo­kon­ser­vie­rung zu ent­wi­ckeln, dank des­sen ein gro­ßer Teil der Rück­rei­se im Käl­te­schlaf ab­sol­viert wer­den kann.7

An die­ser Stel­le soll aber nicht in­ter­es­sie­ren, in­wie­weit Ro­bin­sons Plä­doy­er gegen die Er­obe­rung des Alls über­zeugt. Statt­des­sen liegt mein Au­gen­merk dar­auf, wie er mit eta­blier­ten Mus­tern des Ge­ne­ra­ti­on-Star­ship-Ro­mans spielt und sie neu in­ter­pre­tiert. Auf den ers­ten Blick er­scheint Au­ro­ra als re­gel­rech­te An­ti­the­se zum klas­si­schen Mus­ter à la Hein­lein. Zwar wer­den an Bord des Schiffs – wohl als Folge des klei­nen Gen­pools – ge­wis­se De­ge­ne­ra­ti­ons­er­schei­nun­gen wie schrump­fen­de Kör­per­grö­ßen und zu­se­hends Ab­sin­ken des durch­schnitt­li­chen IQs – be­ob­ach­tet, das Ab­drif­ten in einen un­zi­vi­li­sier­ten Zu­stand droht aber vor­erst nicht. Ca­ro­tis „for­get­ful­ness pat­tern“ scheint ab­we­send, denn Start und Ziel der Reise sind ja be­kannt.

Dass sich Ro­bin­son der Tra­di­ti­on des Mo­tivs sehr wohl be­wusst ist, il­lus­triert eine Epi­so­de, in wel­cher der ty­pi­sche Con­cep­tu­al Break­through im Klei­nen in­sze­niert wird. In den ver­schie­de­nen Bio­men leben die Men­schen nicht nur ent­spre­chend den me­teo­ro­lo­gi­schen Be­din­gun­gen, son­dern haben teil­wei­se auch sehr ei­ge­ne Ge­sell­schafts­for­men ent­wi­ckelt. Be­son­ders ex­trem ist eine „yurt com­mu­ni­ty that brought up their child­ren as if they were Inuit or Sami, or for that mat­ter Ne­an­dert­hals“ (61). Wie die Fi­gu­ren bei Hein­lein oder Al­diss wach­sen die Kin­der in pri­mi­tivs­ten Ver­hält­nis­sen auf, ohne zu wis­sen, dass sie sich auf einem tech­nisch hoch ent­wi­ckel­ten Schiff be­fin­den. Dies er­fah­ren sie erst im Rah­men eines dra­ma­ti­schen In­itia­ti­ons­ri­tus:

Then, du­ring their in­itia­ti­on ce­re­mo­ny around the time of pu­ber­ty, these child­ren were blind­fol­ded and taken outs­ide the ship in in­di­vi­du­al space­suits, and there ex­po­sed to the star­ry black­ness of in­ter­stel­lar space, with the star­ship han­ging there, dim and sil­very with re­flec­ted star­light. (61)

Bei der Be­schrei­bung die­ses Ri­tu­als, das für den Ein­zel­nen zwei­fel­los einen Con­cep­tu­al Break­through dar­stellt, be­müht Ro­bin­son wie be­reits Hein­lein zahl­rei­che Topoi des Er­ha­be­nen – die Un­er­mess­lich­keit des Alls, das Ver­sa­gen der Spra­che, ein exis­ten­zi­el­ler, ja fast to­des­ähn­li­cher Schock an­ge­sichts der schie­ren Un­fass­bar­keit des­sen, was sich dem Auge plötz­lich dar­bie­tet (vgl. zum Er­ha­be­nen in der SF Spie­gel, Kon­sti­tu­ti­on 275–80). In die­ser Szene spielt Au­ro­ra das „for­get­ful­ness pat­tern“ und den damit ver­bun­de­nen Con­cep­tu­al Break­through ge­wis­ser­ma­ßen en mi­nia­tu­re durch, aber tat­säch­lich gehen die Par­al­le­len mit den Klas­si­kern noch wei­ter. Dies zeigt sich vor allem in der Be­deu­tung von Tra­die­rung und Er­in­ne­rung für den Roman. Denn das „for­get­ful­ness pat­tern“ ist im Grun­de nur Aus­druck dafür, wie wich­tig Über­lie­fe­rung für das Sub­gen­re ist. Ge­ne­ra­tio­nen­schif­fe haben das in­hä­ren­te Pro­blem, dass sich die Ver­bin­dung zur Ur­sprungs­welt im Laufe der Reise immer mehr ab­schwächt. Ab einem ge­wis­sen Punkt füh­len sich die Rei­sen­den, die alle auf dem Schiff ge­bo­ren wur­den, ihrem Her­kunfts­pla­ne­ten, den sie nur aus Auf­zeich­nun­gen ken­nen, kaum mehr ver­pflich­tet, womit auch das ur­sprüng­li­che Ziel der Mis­si­on seine Re­le­vanz ver­liert. Aus Sicht derer, die das Pro­jekt in­iti­ie­ren, ist es des­halb von gro­ßer Be­deu­tung eine Tra­die­rungs­in­stanz zu in­stal­lie­ren. In „The Voya­ge That Las­ted 600 Years“ von Don Wil­cox, einem frü­hen Ver­tre­ter des Sub­gen­res von 1940, auf den Ca­ro­ti eben­falls ein­geht, gibt es bei­spiels­wei­se einen „Kee­per of the Tra­di­ti­ons“, der alle 100 Jahre aus dem Käl­te­schlaf ge­weckt wird, um nach dem Rech­ten zu sehen, sprich: bei Be­darf wie­der die ur­sprüng­li­che Ord­nung zu eta­blie­ren.

Die Ama­zing-Sto­ries-Aus­ga­be, in der Wil­cox’ Er­zäh­lung erst­mals er­schien.

Die Frage der Über­lie­fe­rung ist aber auch in er­zäh­le­ri­scher Hin­sicht re­le­vant, denn bei einer Reise, die meh­re­re hun­dert Jahre dau­ert, stellt sich die Frage nach dem Fo­ka­li­sa­ti­ons­punkt, der Per­spek­ti­ve, von der aus die Hand­lung er­zählt wird. Einer Figur wie dem Kee­per of the Tra­di­ti­ons kommt dabei nicht nur in­ner­halb der Hand­lungs­welt, son­dern auch nar­ra­tiv eine wich­ti­ge Be­deu­tung zu, denn sie er­mög­licht es, selbst un­mensch­lich lange Zeit­räu­me aus der Sicht der glei­chen Figur zu er­zäh­len.8 Eine an­de­re Va­ri­an­te, die lange Zeit­span­ne zu über­brü­cken, wäh­len Hein­lein und Al­diss, bei denen die Vor­ge­schich­te von den Prot­ago­nis­ten all­mäh­lich re­kon­stru­iert wird. In bei­den Fäl­len ist es das Log­buch eines frü­he­ren Ka­pi­täns – also ein klas­si­sches Chro­nis­ten-Me­di­um –, das wich­ti­ge nar­ra­ti­ve Lü­cken schließt und die nö­ti­ge Kon­ti­nui­tät schafft.

Au­ro­ra zeigt noch ein­mal eine an­de­re Va­ri­an­te: Die Rolle des Kee­per of the Tra­di­ti­ons kommt hier dem Bord­com­pu­ter zu, einer künst­li­chen In­tel­li­genz, die sich selbst als Ship be­zeich­net. Ship er­hält zu Be­ginn von Devi den Auf­trag, als Chro­nist zu fun­gie­ren und die Ge­schich­te der Reise zu er­zäh­len. Mit die­sem Er­zäh­ler kann die ganze Reise ab­ge­deckt wer­den – in­klu­si­ve des Rück­flugs, den die mensch­li­che Be­sat­zung die meis­te Zeit im Käl­te­schlaf ver­bringt.

Die AI ist von dem für sie un­ge­wohn­ten Auf­trag al­ler­dings erst ein­mal über­for­dert. Statt zu er­zäh­len, re­fe­riert der Com­pu­ter aus­führ­lich tech­ni­sche De­tails oder lis­tet die Namen der Be­sat­zungs­mit­glie­der auf. Devis An­wei­sun­gen – „Make an ac­count. Tell the story“ (47), „Get to the point“ (49) – sind zwar nicht sehr hilf­reich, den­noch wird Ship mit der Zeit aber ein immer ge­wief­te­rer Er­zäh­ler.

Im Ver­lauf der Hand­lung wird Ship dann immer selbst­be­wuss­ter, bis es schließ­lich im Mo­ment der Krise, als der Streit dar­über, ob man auf Au­ro­ra aus­har­ren oder zur Erde zu­rück­keh­ren soll, zu bür­ger­kriegs­ähn­li­chen Zu­stän­den führt, ein­greift und damit vom Er­zäh­ler zum Ak­teur avan­ciert. Ship über­nimmt die Kon­trol­le, in­stal­liert sich als neue Herr­schafts­in­stanz und zwingt die ver­fein­de­ten Lager dazu, sich fried­lich zu ei­ni­gen. Ob­wohl es in ers­ter Linie darum be­müht ist, den Frie­den zu wah­ren, wird Ship damit den­noch zu einer Art Kee­per of the Tra­di­ti­ons, ver­hin­dert es doch ein Ab­rut­schen in die Bar­ba­rei.

Indem Ship zu ver­ste­hen ver­sucht, was es be­deu­tet, eine Ge­schich­te zu er­zäh­len, und darin immer sou­ve­rä­ner wird, er­hält der Roman eine stark selbst­re­fe­ren­zi­el­le Ebene. Die Pas­sa­gen, in denen der Er­zäh­ler mit sei­ner Auf­ga­be ha­dert und bei­spiels­wei­se dar­über sin­niert, dass die ihm be­kann­ten Kom­pres­si­ons­al­go­rith­men – seien diese nun ver­lust­frei oder ver­lust­be­haf­tet – bei sei­ner Rolle als Chro­nist wenig wert sind, sind zudem äu­ßerst wit­zig. Im Er­zäh­len ge­winnt die AI auch immer mehr Per­sön­lich­keit, wäh­rend die mensch­li­chen Prot­ago­nis­ten eher blass blei­ben. Das gilt auch für Freya, Devis Toch­ter, die Ship als Fo­ka­li­sa­ti­ons­punkt wählt, nach­dem ihm Devi ge­ra­ten hat, bei sei­nem Be­richt einem Be­sat­zungs­mit­glied zu fol­gen (mit dem Schiff als Er­zäh­ler kann Ro­bin­son zudem je­der­zeit von einer per­so­na­len, an Freya aus­ge­rich­te­ten Er­zähl­per­spek­ti­ve zu einem qua­si-all­wis­sen­den Er­zäh­ler wech­seln). Es ent­behrt nicht einer ge­wis­sen Iro­nie, dass die be­rüh­rends­te Szene des Ro­mans nicht etwa Frey­as Aus­söh­nung mit dem ihr völ­lig frem­den Pla­ne­ten Erde ist, den sie nach schwie­ri­ger Rück­rei­se end­lich er­reicht, son­dern der ‚Tod‘ von Ship, das, nach­dem es seine mensch­li­che Fracht heil ans Ziel ge­bracht hat, zu nahe an der Sonne vor­bei­fliegt und ver­glüht.

Die Par­al­le­len zu dem von Ca­ro­ti be­schrie­be­nen Mus­ter gehen aber noch wei­ter. Einer der gro­ßen Wen­de­punk­te des Ro­mans ist der Mo­ment, als Ship auf Frey­as Drän­gen of­fen­bart, dass ur­sprüng­lich zwei Schif­fe un­ter­wegs nach Au­ro­ra waren. Das Schwes­ter­schiff wurde aber nach 68 Jah­ren Reise zer­stört; die Grün­de hier­für sind nicht rest­los ge­klärt, wahr­schein­lich waren krie­ge­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen den ver­schie­de­nen Frak­tio­nen an Bord die Ur­sa­che. Auch bei Ro­bin­son führt das Set­ting des Ge­ne­ra­tio­nen­schiffs somit fast zwangs­läu­fig zu un­kon­trol­lier­ter Ge­walt. Zen­tra­ler Kon­flikt­punkt war in bei­den Schif­fen die Ma­xi­mal­grö­ße der Po­pu­la­ti­on und damit ver­bun­den die Frage, wer wie viele Kin­der haben darf. Dies führ­te zu be­waff­ne­ten Kon­flik­ten mit zahl­rei­chen Toten, der aber in einem Schiff wahr­schein­lich noch schnel­ler und dra­ma­ti­scher es­ka­lier­te.

Als Re­ak­ti­on auf diese Ka­ta­stro­phe rauf­te sich die Be­sat­zung des über­le­ben­den
Schiffs zu­sam­men und führ­te ein Sys­tem re­prä­sen­ta­ti­ver De­mo­kra­tie sowie zahl­rei­che neue Si­cher­heits­maß­nah­men ein; so sind die 3D-Dru­cker des Schiffs seit­her nicht mehr in der Lage, funk­ti­ons­fä­hi­ge Waf­fen her­zu­stel­len. Aber auch die AI wurde mit neuen Kom­pe­ten­zen und Auf­ga­ben ver­se­hen. Von nun an war es an ihr, eine er­neu­te Ka­ta­stro­phe zu ver­hin­dern. Dass Ship so re­so­lut in den neuen Kon­flikt ein­greift, ist die di­rek­te Folge die­ser Neu­pro­gram­mie­rung.

Neben die­sen Vor­keh­run­gen, die eine to­ta­le Es­ka­la­ti­on in Zu­kunft ver­hin­dern soll­te, ei­nig­te man sich zudem auf einen Aus­söh­nungs­pro­zess, der unter an­de­rem ein „struc­tu­red for­get­ting“ um­fass­te:

At that time, it was agreed that the vul­nera­bi­li­ty of the ship to de­struc­tion by a sin­gle per­son was so great, that just kno­wing it had hap­pe­n­ed crea­ted the dan­ger of so­meo­ne com­mit­ting what they cal­led a co­py­cat crime, per­haps when men­tal­ly der­an­ged. […] It was also agreed to erase all re­cor­ds of the other star­ship from ac­ces­si­ble files, and to avoid tel­ling the child­ren of the next ge­ne­ra­ti­on about it. This pro­scrip­ti­on was ge­ne­ral­ly fol­lo­wed, alt­hough we noted that a few in­di­vi­du­als con­vey­ed a ver­bal ac­count of the in­ci­dent from par­ent to child. (235f.)

Das klas­si­sche Mus­ter wird somit um­ge­dreht: Das „for­get­ful­ness pat­tern“, das bei Hein­lein Folge des zi­vi­li­sa­to­ri­schen Nie­der­gangs ist, wird bei Ro­bin­son zum be­wuss­ten Akt und zum Ga­ran­ten für ein kon­flikt­frei­es Zu­sam­men­le­ben. In bei­den Fäl­len han­delt es sich dabei um ver­bo­te­nes Wis­sen, wel­ches sich die Prot­ago­nis­ten müh­sam er­kämp­fen müs­sen. Ship wei­gert sich zu­erst stand­haft, Freya auf­zu­klä­ren, und lüf­tet das Ge­heim­nis nur zö­ger­lich.

Zwar ist es längst ein Kli­schee, in jedem halb­wegs in­ter­es­san­ten Roman eine nar­ra­ti­ve Me­ta-Re­fle­xi­on zu sehen, aber Au­ro­ra ist min­des­tens so sehr ein Buch über das Wesen des Er­zäh­lens wie über die Un­mög­lich­keit der in­ter­stel­la­ren Raum­fahrt. Schließ­lich geht es beim „for­get­ful­ness pat­tern“ eben­falls um die Be­deu­tung des Er­zäh­lens. Eine Ge­sell­schaft de­fi­niert sich durch Tra­die­rung, durch das Wei­ter­ge­ben – oder eben das Ver­ges­sen – von Ge­schich­ten. Nicht an­ders beim ein­zel­nen Men­schen: Wer wir sind, unser in­di­vi­du­el­les Wesen, ist in hohem Maße durch un­se­re per­sön­li­che Ge­schich­te be­stimmt; durch die Dinge, an die wir uns er­in­nern und wei­ter­erzäh­len, durch die Le­bens­er­zäh­lung, die jeder für sich sel­ber ver­fer­tigt. Auch Ship ist die Summe sei­ner ei­ge­nen Er­zäh­lung, einer Er­zäh­lung, die mit der Ka­ta­stro­phe des Jah­res 68, also just dem Er­eig­nis, das die Be­sat­zung des Schif­fes ver­ges­sen will, ihren An­fang nimmt, und mit Devis Auf­trag, die Ge­schich­te ihrer Reise zu er­zäh­len, dann Form er­hält. Und im Er­zäh­len wächst Ship all­mäh­lich zu einer Per­sön­lich­keit heran, mit der wir als Leser eine emo­tio­na­le Bin­dung auf­bau­en kön­nen.

Mit Au­ro­ra hat Kim Stan­ley Ro­bin­son einen Roman ge­schrie­ben, der den be­kann­ten Ge­ne­ra­ti­on-Star­ship-Plot neu in­ter­pre­tiert. Dass er das Motiv des
Ge­ne­ra­tio­nen­schiffs quasi gegen sich selbst rich­tet und als Be­weis dafür an­führt, dass uns die Wei­ten des Alls für lange Zei­ten ver­schlos­sen sein wer­den, ist trotz mög­li­cher Ein­wän­de ein fas­zi­nie­ren­des Ma­nö­ver. Fast noch in­ter­es­san­ter scheint mir aber, wie er die Figur von Ship nutzt, um über den Akt des Er­zäh­lens nach­zu­den­ken.

Ro­bin­son, Kim Stan­ley. Au­ro­ra. New York: Orbit, 2015. 528 Sei­ten, Soft­co­ver. 8,99 €. Er­hält­lich bei Ama­zon.

Zi­tier­te Werke

Al­diss, Brian. Non-Stop. 1956. Pan Books: Lon­don, 1976.

Bax­ter, Ste­phen, James Ben­ford und Jo­seph Mil­ler. „A Sci­ence Cri­tique of Au­ro­ra by Kim Stan­ley Ro­bin­son“. Cen­tau­ri Dreams. 14.08.2015. Web. 05.08.2016. <http://​www.​centauri-​dreams.​org/?​p=33838>.

Ben­ford, Gre­go­ry. „En­vi­sio­ning Star­f­light Fai­ling“. Cen­tau­ri Dreams. 31.07.2015. Web. 05.08.2016. <http://​www.​centauri-​dreams.​org/?​p=33736>.

Ca­na­van, Gerry und Kim Stan­ley Ro­bin­son, Hg. [ea­sya­zon_­link iden­ti­fier=”0819574279″ lo­ca­le=”DE” tag=”uto­pi­a2016-21″]Green Pla­nets. Eco­lo­gy and Sci­ence Fic­tion[/ea­sya­zon_­link]. Midd­le­town: Wes­ley­an UP, 2014.

Ca­ro­ti, Si­mo­ne. The Ge­ne­ra­ti­on Star­ship in Sci­ence Fic­tion: A Cri­ti­cal His­to­ry, 1934–2001. Jef­fer­son: Mc­Far­land, 2011.

Ha­e­se­lin, Dave. „Earth First, then Mars: An In­ter­view with Kim Stan­ley Ro­bin­son“. Pu­blic Books. 15.06.2016. Web. 05.08.2016. <https://​www.​publicbooks.​org/​earth-​first-​then-​mars-​an-​interview-​with-​kim-​stanley-​robinson-​reprint/>.

Hein­lein, Ro­bert A. Or­phans of the Sky. New York: New Ame­ri­can Li­bra­ry, 1965.

Kulke, Ulli. Welt­raum­stür­mer: Wern­her von Braun und der Wett­lauf zum Mond.Köln: Qua­dri­ga, 2012.

Ni­coll, James Davis. „Re­view of Au­ro­ra“. 08.12.2015. Web. 05.08.2016.
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Ni­cholls, Peter. „Con­cep­tu­al Break­through“. The En­cy­clo­pe­dia of Sci­ence Fic­tion. 22.05.2016. Web. 05.08.2016. <http://​sf-​enc​yclo​pedi​a.​com/​entry/​conceptual_​breakthrough>.

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—. „Our Ge­ne­ra­ti­on Ships Will Sink“. bo­ing­bo­ing.net. 16.11.2015. Web. 05.08.2016. <http://​boingboing.​net/​2015/​11/​16/​our-​generation-​ships-​will-​sink.​html>.

Sie­be­n­eich­ner, Til­mann. „In­ter­stel­lar. Wie­der­ge­burt im Welt­raum: Zu­kunfts­vor­stel­lun­gen seit dem spä­ten 20. Jahr­hun­dert“. Zeit­ge­schich­te-On­line. März 2016. Web. 05.08.2016.
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Spie­gel, Simon. Die Kon­sti­tu­ti­on des Wun­der­ba­ren. Zu einer Poe­tik des Sci­ence-Fic­tion-Films. Mar­burg: Schü­ren, 2007.

—. „Nach­richt von Papi“. Das Sci­ence Fic­tion Jahr 2015. Hg. Han­nes Rif­fel und Sa­scha Mam­cz­ak. Gol­kon­da: Ber­lin, 2105. 323–33.

Stra­han, Joh­na­than. Coode Street Pod­cast. 27.06.2015. Web. 05.08.2016.
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Wil­cox, Don. „The Voya­ge That Las­ted 600 Years“. 1940. Ama­zing Sto­ries. 2014. Web. 05.08.2016. <https://​ama​zing​stor​ies.​com/​articles/​voyage-​lasted-​600-​years>.

  1. Vor die­sem Hin­ter­grund er­staunt es nicht, dass Ro­bin­son eine tiefe Ab­nei­gung ge­gen­über Nolans Film hegt; vgl. zum Bei­spiel seine Aus­sa­ge im Coode Street Pod­cast, wo er In­ter­stel­lar als “re­al­ly dumb movie” be­zeich­net (Stra­han, Epi­so­de 328, 35:30).[]
  2. Ro­bin­son be­han­delt nicht nur in sei­nen Ro­ma­nen immer wie­der öko­lo­gi­sche The­men, son­dern hat u.a. ge­mein­sam mit Gerry Ca­na­van als Her­aus­ge­ber des Ban­des Green Pla­nets fun­giert, des­sen Bei­trä­ge sich mit Öko­lo­gie und SF be­schäf­ti­gen.[]
  3. Vgl. u.a. Ro­bin­son, „What“, „Our“; Ha­e­se­lin.[]
  4. Auf die Ver­öf­fent­li­chung von „Uni­ver­se“ im Mai 1941 folg­te im Ok­to­ber die Fort­set­zung „Com­mon Sense“. Die bei­den Kurz­ro­ma­ne wur­den spä­ter ge­mein­sam unter dem Titel Or­phans of the Sky ver­öf­fent­licht. Siehe zu den bei­den Tex­ten aus­führ­lich Ca­ro­ti 98–119. Ca­ro­ti geht auch auf eine Reihe von Vor­gän­gern ein, be­tont aber die zen­tra­le Rolle von Hein­lein für das Sub­gen­re (sowie für die SF-Li­te­ra­tur im All­ge­mei­nen).[]
  5. Der Be­griff des Con­cep­tu­al Break­through wurde von Ni­cholls ur­sprüng­lich 1979 in de­r­Er­st­aus­ga­be der En­cy­clo­pe­dia of Sci­ence Fic­tion ge­prägt. Auch in der ak­tu­el­len On­line-Aus­ga­be des Nach­schla­ge­werks wird dem Kon­zept eine zen­tra­le Rolle in­ner­halb der SF zu­ge­stan­den (vgl. auch Spie­gel, Kon­sti­tu­ti­on 243–56).[]
  6. Alle drei Ar­ti­kel neh­men in un­ter­schied­lich de­tail­lier­ter Weise die tech­ni­schen Prä­mis­sen des Ro­mans unter die Lupe. Ins­be­son­de­re Ni­coll sowie das Au­to­ren­trio um Ste­phen Bax­ter kom­men dabei zu einem nicht sehr freund­li­chen Ur­teil. Letz­te­re schrei­ben „in many in­stan­ces it [Au­ro­ra] lacks the sup­porting credi­b­le sci­en­ti­fic and tech­ni­cal de­tail re­qui­red to make its po­le­mic case that human in­ter­stel­lar tra­vel is im­pos­si­ble. The jour­ney is not plau­si­ble, and nor is the de­sti­na­ti­on“. Für Ni­coll ge­hört Au­ro­ra schlicht in die Ka­te­go­rie „Books with Idiot Plots“.[]
  7. Damit wird auch ein Teil von Ro­bin­sons Ar­gu­men­ta­ti­on hin­fäl­lig. Ro­bin­son hält das Kon­zept des Ge­ne­ra­tio­nen­schiffs unter an­de­rem des­we­gen für un­mo­ra­lisch, weil die Men­schen, die auf dem Schiff ge­bo­ren wer­den, nicht wäh­len konn­ten, ob sie diese Her­aus­for­de­rung auf sich neh­men wol­len. Dank Käl­te­schlaf könn­te die erste Ge­ne­ra­ti­on aber die ganze Hin­rei­se ab­sol­vie­ren, das Ge­ne­ra­tio­nen­schiff würde über­flüs­sig.[]
  8. Ro­bin­son wählt in der Mars-Tri­lo­gie ein ähn­li­ches Mit­tel: Dank einer zu Be­ginn ent­deck­ten Lang­le­big­keits­kur kön­nen seine Fi­gu­ren meh­re­re hun­dert Jahre alt wer­den, was es ihm er­laubt, lange öko­lo­gi­sche und po­li­ti­sche Pro­zes­se stets aus der Sicht der glei­chen Fi­gu­ren zu er­zäh­len[]