Die Menschheit teilt sich bekanntlich in zwei Gruppen – in Star-Trek– und Star-Wars-Liebhaber. Ich selber gehöre klar zur ersten Gruppe. Obwohl ich die meisten Star-Wars-Filme gesehen habe, hat mich dieses Franchise nie wirklich begeistern können. Captain Picard und Co. liegen mir da eindeutig näher. Allerdings bin ich weit davon entfernt, ein Star-Trek-Experte zu sein. Am besten kenne ich mich mit The Next Generation aus, die Original Series kenne ich nur bruchstückhaft, und alles, was nach Voyager erschienen ist, ist mir völlig unbekannt. Auch bei den Filmen tun sich bei mir grosse Lücken auf.
Im Zusammenhang mit meiner Forschung zu filmischen Utopien hatte ich allerdings mehrfach mit Star Trek zu tun. Wenn ich mit Kolleg:innen oder Bekannten über meine wissenschaftliche Arbeit spreche, wird die Serie regelmässig als Beispiel für eine Utopie genannt. Tatsächlich bin ich aber der Ansicht, dass Star Trek nur sehr bedingt als Utopie gelten kann.
Die Antwort auf die Frage, ob Star Trek zu den Utopien gezählt werden kann, hängt in erster Linie davon ab, wie man Utopie definiert. So ist Sebastian Stoppe, der eine Dissertation zum Thema geschrieben hat, der Ansicht, dass die Serie sehr wohl eine Utopie darstelle.[ref]Siehe dazu meine Rezension im Quarber Merkur.[/ref] Zweifellos ist in der Welt der Serie vieles besser als in der unsrigen: Dank Replikatoren erfreuen sich ihre Bewohner:innen einer Überflusswirtschaft. Im Grunde muss niemand Hunger leiden, (fast) alles kann synthetisiert werden, und obwohl die Welt nicht konfliktfrei ist, herrscht innerhalb des Gebiets der Federation doch weitgehend Frieden. In einem sehr allgemeinen Sinn kann Star Trek deshalb zweifellos als utopisch bezeichnet werden. In meiner Forschung gehe ich allerdings von einem deutlich enger gefassten Utopiebegriff aus, für den einerseits die Ausführlichkeit des Gesellschaftsentwurfs und andererseits die Kritik an der jeweiligen Gegenwart zentral sind. Indem die Utopie einen detaillierten Gegenentwurf zur misslichen Gegenwart präsentiert, übt sie immer auch Kritik an dieser. Diese beiden Aspekte sind bei Star Trek bestenfalls im Ansatz gegeben. Nicht nur erfahren wir kaum etwas darüber, wie die Federation organisiert ist, die Kritik an den aktuellen Verhältnissen bleibt meist sehr allgemein.
Im Grunde ist Star Trek eine sehr unpolitische Utopie, denn die Lösung der gesellschaftlichen Probleme liegt nicht in politischen oder wirtschaftlichen Veränderungen, sondern beruht in erster Linie auf dem Wunder der Replikatorentechnologie. Nicht nur das – in verschiedenen Folgen, insbesondere in The Original Series, zeigt sich Star Trek sogar ausgesprochen utopiefeindlich. Als die Crew der Enterprise in This Side of Paradise (TOS S01E25) durch die Sporen einer mysteriösen Pflanze völlige Zufriedenheit erlangen, setzt Kirk beispielsweise alles daran, um diesem Zustand ein Ende zu setzen. Seine Begründung: «We weren’t meant for that, non of us. Man stagnates if he has no ambition, no desire to be more than he is.» – Die Utopie ist, mit anderen Worten, ein unnatürlicher Zustand.
Ich habe diese Überlegungen bereits schon an verschiedenen Stellen – unter anderem in meiner Habil – kurz skizziert, aber nie ausführlich dargelegt. Umso grösser war meine Freude, als die Herausgeber:innen des Routledge Handbook of Star Trek mich für einen Beitrag zu den utopischen Qualitäten von Star Trek anfragten. Nun liegt das gewichtige Werk vor, und ich bin sehr stolz, dass ich es als Star-Trek-Dilettant in diese illustre Runde geschafft habe.
Erwähnte Werke
Stoppe, Sebastian: Unterwegs zu neuen Welten. Star Trek als politische Utopie. Darmstadt: büchner 2014.
Spiegel, Simon: Bilder einer besseren Welt. Die Utopie im nichtfiktionalen Film. Marburg: Schüren 2019.
Spiegel, Simon: «Utopia». In: Mittermeier, Sabrina/Rabitsch, Stefan/Garcia-Siino, Leimar (Hg.): The Routledge Handbook of Star Trek. London/New York: Routledge 2022, 467–475.