Von (Blut-)Burgen und Türmen

Den vorläufigen Abschluss meiner diesjährigen Konferenzen-Tournee bildete letzte Woche die Tagung Winter is Coming, die sich, wie es im Untertitel hiess, kultur­wissenschaft­lichen Perspektiven auf George R.R. Martins A Song of Ice and Fire resp. der Fernsehserie Game of Thrones widmete. Für mich ein ziemlich ungewohntes Gebiet, da ich mit Fantasy normalerweise nichts am Hut habe und von Martin bislang noch keine einzige Zeile gelesen habe. Da ich aber ein begeisterter Zuschauer der Fernsehserie bin und vor allem weil mich Markus May, PD für Neue Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Spiritus Rector der Veranstaltung, explizit dazu aufgefordert hat, habe ich dennoch einen Beitrag beigesteuert.

Die Tagung fand im Münchner Schloss Blutenburg in sehr stimmungsvollem Ambiente statt. Ich konnte zwar nicht die ganze Zeit vor Ort sein, bekam aber dennoch einiges des dichten Programms mit. In meinem eigenen Vortrag sprach ich über die narrative Funktion der Sexszenen, der so genannten Sexpositions, in GoT.[ref]Die Slides meines Vortrags sind online. Insbesondere der zweite Teil ist ohne Kommentar allerdings nicht sonderlich aufschlussreich.[/ref]

winteris_ngplakat_lIch möchte an dieser Stelle nicht gross auf die Tagung selbst eingehen (Interessierte finden auf der Website von Felix Schröter eine ausführliche Zusammenfassung der Veranstaltung), sondern einen anderen Aspekt ansprechen. Gemessen an anderen wissenschaftlichen Veranstaltungen erzeugte die Tagung ein relativ grosses mediales Echo. So berichtete die Süddeutsche Zeitung  zweimal – einmal vorab, und einmal im Anschluss an die Tagung. Während der erste Artikel sehr freundlich gehalten ist, enthält der zweite einige Spitzen. Schon der Titel „Drachen und Zombies – streng wissenschaftlich“ hat einen maliziös-ironischen Unterton, und im Text selbst klingt immer wieder an, dass hier im Grunde nur Fans darum bemüht sind, ihr (kindisches) Tun wissenschaftlich zu verbrämen.

Unter den Tagungsteilnehmern hatte es wohl auch den einen oder anderen Fan, und nicht zuletzt Dank des ersten Artikels wies die Tagung einige „Laufkundschaft“ auf; eine Besucherin erklärte sogar, dass sie sich, nachdem sie sich nach der Lektüre gleich zum Bahnhof aufgemacht habe, um nach Schloss Blutenberg zu fahren. Auch bei meinem Vortrag, der im letzten Panel platziert war, fielen mir die teilweise sehr jungen Zuhörer auf, die sich bei der anschliessenden Diskussion keineswegs mit Kommentaren zurückhielten.

Gerade Letzteres ist eigentlich sehr begrüssenswert. Der gängige Vorwurf an die Geisteswissenschaften lautet ja, dass wir uns zurückgezogen im Elfenbeinturm mit esoterischen Dingen beschäftigen, für die sich kein normaler Mensch interessiert. Eine Tagung, die sich ausdrücklich mit einem populären Phänomen beschäftigt – und von der breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wird –, müsste da als etwas Positives erscheinen.

Im Grunde rechtfertigt ja bereits das Riesenecho, das GoT weltweit auslöst, die wissenschaftliche Rechtfertigung mit der Serie und den Romanen. Wenn man sich nicht mit einer der derzeit populärsten Formen von Unterhaltung beschäftigen darf, womit denn sonst? Zudem ist die Serie – und anscheined auch die Romane – handwerklich unglaublich gut gemacht. Aus filmwissenschaftlicher Sicht gibt es hier mehr als genug interessanten Stoff. Irgendwie scheint es mancherorts aber dennoch Vorbehalte gegenüber solchen Unternehmen zu geben. Zumindest lässt Nicolas Freund in seinem Artikel immer wieder anklingen, dass es mit der wissenschaftlichen Relevanz nicht so weit her ist – nicht so weit her sein kann.

Bei derartigem Dünkel kommen wohl verschiedene Faktoren zusammen. Eine grosse Rolle spielt zweifellos die Tatsache, dass wir es hier mit Fantasy zu tun haben, einem Genre, das nach wie vor nicht richtig ernst genommen wird. Fantasy, so das gängige Vorurteil, ist was für Teenager. Hinzu kommen gängige Fan-Klischees: Schräge Vögel, die in Fantasie-Welten flüchten und dabei allerhand kindischem Treiben wie Karten-Zeichnen, Verkleiden, Sammeln von Figuren etc. nachgehen. Dass das nichts mit seriöser Wissenschaft zu tun haben kann, versteht sich von selbst. Die Tatsache, dass eine Schwertkampf-Demonstration (die ich leider verpasst habe) Teil des Veranstaltungsprogramms war, scheint diese Einschätzung nur zu bestätigen.

Nun bin ich zwar alles andere als ein Liebhaber von Fantasy (und stehe diversen Fan-Aktivitäten eher ratlos gegenüber), eine ähnliche Haltung ist aber auch mir schon oft begegnet. Wenn ich erwähne, dass ich mich wissenschaftlich mit SF beschäftige, kriege ich oft etwas à la „Science Fiction interessiert mich nicht, die finde ich doof.“ zu hören. Nun ist es freilich vollkommen legitim, dass sich jemand nicht für SF oder Fantasy interessiert. Ich bin aber ziemlich sicher, dass mein Gegenüber nichts Derartiges sagen würde, wenn ich zur Barock-Lyrik, zum Werk Adalbert Stifers oder zum frühen Film forschen würde (wenn ich von Utopien spreche, fallen die Reaktionen bereits ganz anders aus). Die Chance, dass mein Gesprächspartner ein besonderes Flair für Barock-Lyrik hat (resp. sich überhaupt etwas unter diesem Begriff vorstellen kann), ist zwar klein, seine Reaktion wäre in diesem Fall aber wahrscheinlich bloss ein mehr oder weniger respektvolles Schweigen.

Es scheint gerade die Bekanntheit und vermeintliche Vertrautheit des Themas zu sein, die es in den Augen mancher als Gegenstand wissenschaftlicher untauglich erscheinen lassen. Oder vielmehr: Obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – sich weitaus weniger Menschen für Barock-Lyrik interessieren als für GoT, hat Erstere dennoch  den Nimbus der Respektabilität. Populäre Formen wie SF oder Fantasy sind dagegen Kinderkram und taugen somit nicht für seriöse Wissenschaft

Paradoxerweise scheinen die vermeintlich elitären Elfenbeintürmer an den Hochschulen offener für Populärkultur als das Zeitungsfeuilleton. Denn dass auch Mainstream-Erzeugnisse für wissenschaftliche Analyse ertragreich sein können, dürfte sich inzwischen auch am letzten Germanistik-Seminar rumgesprochen haben. Zwar wird unter Phantastikforschern noch immer gerne gejammert, wie schwer man es mit diesem Spezialgebiet im Uni-Bereich habe, meine Erfahrungen sind diesbezüglich allerdings anders (wobei es hier wohl Unterschiede zwischen Literatur- und Filmwissenschaft gibt). Im akademischen Bereich erlebe ich kaum, dass man meine Themen nicht ernst nimmt; in aller Regel sind es just Nicht-Geisteswissenschaftler, die irritiert reagieren. Fast scheint es, als wäre es manchem lieber, wenn wir bei unseren obskuren Problemen im Elfenbeinturm bleiben würden.

Update: Der Sammelband zu Tagung ist mittlerweile erschienen, Details dazu hier. Mein Beitrag zur erzählerischen Funktion der Sexpositions in GoT ist zudem online verfügbar.

Oktober-Update

Seit meinem letzten Blog-Eintrag ist einige Zeit vergangen, entsprechend ist auch einiges passiert. Hier ein kurzes Update, was sich bei mir im Bereich Utopie und verwandten Feldern in der Zwischenzeit zugetragen hat.

Tagungen

Ich bin fleissig in der Gegend rumgereist und habe an verschiedenen Tagungen über mein Projekt gesprochen. Die beiden wichtigsten Termine waren die Jahrestagung der Utopian Studies Society in Newcastle sowie die Tagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft, deren Thema dieses Jahr «Utopien. Wege aus der Gegenwart» lautete.

Obwohl es an beiden Orten um Utopien ging, waren die Voraussetzungen grundverschieden. In Newcastle traf sich fast alles, was im Bereich der Utopieforschung Rang und Namen hatte. Für mich eine gute Gelegenheit, Wissenschaftler, die ich bislang nur lesenderweise kannte, persönlich kennenzulernen.

Von den in Bayreuth versammelten Film- und Medienwissenschaftler haben dagegen die meisten normalerweise nichts mit Utopien am Hut. Entsprechend rechnete ich damit, dass sich hier für mein Thema nicht allzu viel Interessantes ergeben würde. Mit dieser Einschätzung lag ich zwar durchaus richtig, seltsamerweise wirkte die Tagung in Newcastle letztlich auf mich aber dennoch weniger fokussiert als die in Bayreuth.

Wahrscheinlich lag es daran, dass ich von einer Tagung einer Gesellschaft für Utopieforschung von Anfang an eine stärkere Konzentration auf Utopien im engeren Sinne erwartete, tatsächlich waren mir dann aber viele Vorträge in Newcastle letztlich zu weit vom Thema entfernt. Offensichtlich war ich mit dieser Einschätzung nicht alleine. Der britisch-australische SF-Forscher Andrew Milner sprach mir ganz aus dem Herzen, als er nach einem Vortrag – den kein Geringerer als Tom Moylan, eine Koryphäe der Utopie-Forschung hielt – ausrief: «Not everything is utopian.»

Interessant auch die unterschiedlichen Reaktionen auf meinen Vortrag (den ich jeweils leicht anpasste). In Newcastle dominierte der marxistische Zugang zur Utopie, von dem ich schon früher gesprochen habe. Entsprechend war man – bei aller Breite – doch eher inhaltlich und politisch ausgerichtet. Formale Fragen, die bei meinem Projekt wichtig sind, schienen dagegen von geringerem Interesse. Folglich waren die Reaktionen auf meinen Vortrag auch eher verhalten. In der anschliessenden Diskussion gaben mir verschiedene Zuhörer zudem Hinweise auf Spielfilme, die durchaus utopisch seien. Dass es mir gerade nicht im Spielfilme geht, war anscheinend nicht klar geworden …

In Bayreuth, wo ich gemeinsam mit Andrea Reuther und Henriette Bornkamm ein Panel präsentierte, waren die Reaktionen ganz anders. Da hier das Interesse primär auf den Filmen lag, war das Q&A letztlich einiges ergiebiger.

News from Nowhere: Zurich Laboratory

Unter diesem Titel zeigt das Zürcher Museum für Gegenwartskunst derzeit eine Ausstellung der beiden südkoreanischen Künstler Moon Kyungwon und Jeon Joonho. Der Titel verweist natürlich auf William Morris utopischen Roman, über den ich hier bereits geschrieben habe. Die beiden Künstler nutzen in diesem Projekt die Möglichkeit des SF-Films, um über die Zukunft (der Kunst) nachzudenken. Durch meine Arbeit beim Migros-Kulturprozent hatte ich die Gelegenheit, ein Interview mit dem Duo zu führen (das Ergebnis ist hier zu lesen). Im Gespräch zeigte sich schnell, dass Moon und Jeon letztlich nicht sonderlich am Konzept der Utopie interessiert sind. Oder vielmehr: Obwohl sie auf einen Klassiker der utopischen Literatur verweisen und in den beiden Kurzfilmen El Fin del Mundo und Avyakta, die das Zentrum der Ausstellung bilden, mit zahlreichen SF-Topoi spielen, scheinen sie sich in diesem Bereich dennoch nicht sonderlich auszukennen. Irgendwann fiel dann der Satz: «Wir sind gar nicht an der Zukunft interessiert, sondern an der Gegenwart.» Dass die Utopie (wie auch die SF) letztlich immer von der Gegenwart handelt, war ihnen anscheinend nicht recht bewusst.

Nun sind Moon und Jeon Künstler und keine Utopieforscher; es ist aber durhcaus aufschlussreich zu sehen, wie flexibel der Utopiebegriff mittlerweile geworden ist. Fast jeder kann ihn sich für seine Zwecke aneignen. Wie im Laufe des Gesprächs immer deutlicher wurde, sind die beiden Künstler auch nicht an den klassischen gesellschaftlichen Fragen interessiert, welche die Utopie normalerweise behandelt. Eigentlich geht es ihnen um ein sehr persönliches Thema – um die Rolle des Künstlers in der Gegenwart.

 

Der Trailer zu «El Fin del Mundo» von Moon Kyungwon und Jeon Joonho.

Das Science Fiction Jahr 2015

sfjahr

Das «Science Fiction Jahr» in neuem Glanz.

Im deutschen SF-Markt ist das Science Fiction Jahr eine Institution. Vor 30 Jahren wurde es von Wolfgang Jeschke, der damals die SF-Abteilung beim Heyne-Verlag betreute, ins Leben gerufen, sein Nachfolger Sascha Mamczak führte es gemeinsam mit Jeschke weiter. Seit jeher versuchen die Herausgeber den Spagat zwischen gehobener Fan-Literatur und gehobenerem, semi-wissenschaftlichem Anspruch. Dass diese Art von Publikation kein allzu grosses Publikum hat, ist klar, und so war es wohl vor allem dem Einatz der Herausgeber zu verdanken, dass dieses Buch überleben konnte, denn Gewinn dürfte es kaum eingebracht haben. Die Entwicklungen der letzten Jahre stimmten allerdings skeptisch: Das SF-Jahr wurde nicht nur immer dicker und dicker, sondern auch immer teurer. Stand 2014: 976 Seiten für knapp 37 Euro.

2015 ist nun ein Neuanfang erfolgt: Das SF-Jahr erscheint erstmals beim Berliner Golkonda-Verlag, einem Unternehmen das aus der auf SF spezialisierten Buchhandlung Otherland hervorgegangen ist und in dem zahlreiche Genre-Klassiker in schönen Ausgaben neu aufgelegt. Ein Liebhaber-Verlag also, und für eine Publikation wie das SF-Jahr genau der richtige Ort.

Scarlett Johansson

Scarlett Johansson für einmal ganz anders.

Als Herausgeber fungiert wie bisher Sascha Mamzack, neu dazu gekommen ist Golkonda-Mastermind Hannes Riffel. Wolfgang Jeschke ist leider diesen Sommer verstorben, weshalb der erste Teil des Bandes auch seinem Andenken gewidmet ist.

Wie in den vergangenen Jahren bin auch dieses Mal mit verschiedenen Texten vertreten. Neben erweiterten Versionen von Filmkritiken zu Snowpiercer und Edge of Tomorrow, die bereits früher auf meiner Website veröffentlicht wurden, möchte insbesondere auf die Rezension zu Under the Skin verweisen (die nun ebenfalls online ist). Jonathan Glazers enigmatische Geschichte eines Aliens mit dem Aussehen von Scarlett Johansson ist in meinen Augen einer der grandiosesten Filme der letzten Jahre, den ich jedem Film- oder SF-Interessierten ans Herz legen möchte. Ausserdem nehme ich in einem längeren Artikel Christopher Nolans Machwerk Interstellar auseinander. Ich habe mich in dem Text zwar bemüht, nicht zu negativ zu werden, ich fürchte aber, dass es mir nicht ganz gelungen ist …

The Martian

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Saving Astronaut Watney

Zum Schluss noch eine Kurz-Rezension zu Ridley Scotts neustem Film. Scott ist ja ein Phänomen. Ich kenne kaum einen Regisseur, dessen Werk qualitativ derart schwankt. Von stilbildenden Meisterwerken – Alien, Blade Runner – über nette Unterhaltung – Gladiator – und belanglose Dutzendware – Matchstick Men, A Good Year, American Gangster – bis zu schmerzhaft dummem Unsinn – G.I. Jane, White Squall, Prometheus – ist in seinem Oeuvre wirklich alles zu finden.

Innerhalb dieser beträchtlichen Spannbreite reiht sich The Martian knapp im oberen Drittel ein, irgendwo zwischen netter Unterhaltung und belangloser Dutzendware. Der Film über den auf dem Mars gestrandeten Astronauten Mark Watney, ist nett anzusehen, mutiert aber gegen Ende unverständlicherweise immer mehr zu einem aufdringlichen Feel-Good-Movie. Die Musik wird zusehends penetrant fröhlich, und ab einem gewissen Punkt scheinen nicht nur alle Antagonisten verschwunden, sondern gibt es auch kaum eine Szene, in der sich nicht zwei Figuren lachend in die Arme fallen.

Verglichen mit Prometheus erscheint The Martian zwar fast wie ein Meisterwerk, eine echte Empfehlung ist das freilich nicht. Letztlich ist Ridley Scott der lebende Beweis dafür, dass die Ateur-Theorie, die Vorstellung, dass ein Regisseur die zentrale kreative Instanz hinter einem Film ist und diesen kraft seiner Persönlichkeit prägt, sicher nicht für alle Filmemacher resp. Filme gilt. Wenn man sich Scotts Schaffen anschaut, wird eines überdeutlich: Wer oder was auch immer dafür verantwortlich war, dass einige seiner Filme Meisterwerke wurden – Scott selbst war es offensichtlich nicht.