Der jüngsten Star-Wars-Episode wurde schon viel, sehr viel Tinte, Druckerschwärze und Bits gewidmet. Etwas Neues zum Film selbst lässt sich kaum noch sagen. Dieser Blogeintrag ist deshalb auch nicht als Kritik im eigentlichen Sinne gedacht, vielmehr möchte anhand des Films über gewisse Entwicklungen in der Rezeption und Vermarktung von Blockbustern nachdenken.
Vorausgeschickt sei, dass ich mich nie wirklich für Star Wars begeistern konnte. Das mag damit zusammen hängen, dass ich relativ spät in den Genuss der Filme kam. Tatsächlich bin ich noch nicht einmal sicher, wann ich die drei Urfilme zum ersten Mal gesehen habe, was bereits illustrieren dürfte, wie wenig sie mich beeindruckt haben. Wenn Fans davon schwärmen, wie sie als Kinder von Star Wars verzaubert wurden, wie sehr sie die magisch-naive Art der Filme lieben, dann kann ich dazu nicht allzu viel sagen. Kommt hinzu, dass mir einige Formen des gemeinen Fantums ohnehin ziemlich fremd sind. So geht mir die für Fans typische Sammel- und Komplettheitswut, die dazu führt, dass man alles liest, sammelt und weiss, was zu einem bestimmten fiktionalen Kosmos gehört, weitgehend ab.
Im All nichts Neues
Ich bin somit alles andere als der ideale Star-Wars-Zuschauer. Umso interessanter finde ich es zu beobachten, wie in SF-Foren sowie in sozialen und anderen Medien über den Film gesprochen wird. Besonders auffällig ist dabei, welche Ausmasse die Spoiler-Panik im Falle von The Force Awakens angenommen hat. Mittlerweile wird man als Filmjournalist sogar vom Verleiher dazu angehalten, auf Spoiler in der Berichterstattung zu verzichten. Seltsamerweise scheint dies just bei den Filmen zu geschehen, bei denen es ohnehin wenig bis nichts zu spoilern gibt; so etwa jüngst bei Spectre und eben The Force Awakens.[ref]Siehe zu Spectre meine Spoiler-Kolumne sowie meine Rezension.[/ref] Mir ist sowieso nicht ganz klar, warum so viele Leute der Meinung sind, die Qualität eines Filmerlebnisses hänge primär davon ab, dass man von der Geschichte überrascht wird. Als ob ein Film nicht noch sehr viel anderes und vor allem mehr wäre als bloss der Plot.[ref]Stefan Höltgen bringt dies in einem Artikel auf Persepolis auf den Punkt: «Für einen Cineasten hingegen ist es traurig, dass Film dort, wo er erzählerisches Unterhaltungskino geworden ist, auf diese beiden Elemente reduziert wird: Auf das Sagen und Handeln der Protagonisten. Beides könnte aus dem Drehbuch herausgelesen werden und Film wäre damit nicht mehr als ein Roman (von dem man bekanntlich auch nicht allzu viel vorab verraten bekommen möchte). Die Misere des Experimentalfilms ist vor allem damit zu erklären, dass er nicht ‹erzählt› und damit nacherzählbar ist. Dass all die anderen ästhetischen Elemente eines Films in den Hintergrund geraten, hat sowohl Tradition als auch Kalkül: Über nichts von einem Film lässt sich ohne Fachkenntnisse besser sprechen als über den Plot, weshalb jeder Historiker ein passabler Film(plot)kritiker werden kann, wenn er Plots wie Quellen strukturieren und analysieren gelernt hat».[/ref] Im Falle von Mega-Blockbustern wie den jüngsten Abenteuern von James Bond respektive Luke Skywalker und Co. – ist mit der Nennung des Namens bereits etwas verraten? – wird das Spoiler-Getue aber regelrecht grotesk. Denn wenn diese Filme etwas nicht bieten, dann sind es Neuerungen auf inhaltlicher Ebene.
The Force Awakens – da scheinen sich Kritiker und Befürworter weitgehend einig – ist im Wesentlichen ein Neu-Arrangement von Elementen des ersten Star-Wars-Films von 1977. Ob man das nun Pastiche, Re-Interpretation oder Beinahe-Remake nennt – es kommt immer aufs Gleiche raus: Auf der Handlungsebene folgt J.J. Abrams dem Urfilm fast schon sklavisch. Was ich dabei faszinierend finde, ist, dass dies von vielen Fans nicht nur nicht abgelehnt, sondern vielmehr begrüsst wird. Bei The Force Awakens scheinen viele gängige Bewertungskriterien hinfällig zu werden: Originalität, Unstimmigkeiten im Plot, logische Fehler – alles egal. Was zählt, ist einzig, ob es dem Film gelingt, das sagenhafte Gefühl der Verzauberung von Anno dazumal hervorzurufen (dass damit der Plot und somit auch die Angst vor Spoilern weitgehend irrelevant wird, sei hier nur am Rande noch einmal erwähnt). Adam Roberts formuliert es mal wieder treffend:
They [the Star Wars fans] don’t want anything that deviates so far from the original template. Indeed, I’d go so far as to suggest that they’re not interested in the film as such. They are interested in recapturing a certain feeling they experienced once upon a time when watching another film.
Um was es in anderen Worten geht, ist Nostalgie.
Der wehmütige Blick zurück
Dass die Science Fiction – oder vielleicht eher das Dasein des SF-Fans – einen stark nostalgischen Zug besitzt,[ref]Ja, ja, ich weiss: Star Wars ist gar nicht SF, sondern Fantasy, Märchen, Western, denn die Force, «a long time ago in a galaxy far far away», campbelsche Heldenreisen etc. etc. Dass die Fantasy-Elemente in Star Wars wichtig sind, ist offensichtlich. Ebenso offensichtlich ist aber auch, dass sich die Reihe einer SF-Ästhetik bedient. Innerhalb des Kontinuums zwischen SF und Fantasy liegt Star Wars ziemlich genau auf der Mitte und ist somit – wenn man den Begriff für sinnvoll hält – ein Paradebeispiel für Science Fantasy.[/ref] zeigt sich nicht erst seit Filmen wie Tomorrowland, die den hoffnungsvollen Blick in die Zukunft mit der Sehnsucht nach der eigenen Kindheit verwechseln (siehe dazu hier und hier). Die genretypische Nostalgie kommt auch in dem in SF-Kreisen oft zitierten Ausspruch «The Golden Age of science fiction is twelve» zum Ausdruck.[ref]Dieses Zitat wird oft David Hartwell zugeschrieben, scheint aber bedeutend älter. Anscheinend stammt es aus einem Artikel von Peter Graham, der 1957 in dem Fanzine Void erschien.[/ref] Das im SF-Jargon gemeinhin als Sense of Wonder (Sow) bezeichnete Gefühl erhabener Ergriffenheit, das sich einstellt, wenn man von einer SF-Geschichte völlig in den Bann gezogen wird und sich mit einem Schlag ganze Welten eröffnen, ist eine typische Adoleszenz-Erfahrung. Ein nicht unwesentlicher Teil des Fan-Daseins kann als Versuch verstanden werden, diesem Initiationsmoment wieder nahe zu kommen. In Die Konstitution des Wunderbaren schreibe ich dazu:
Der SoW ist keine Empfindung, die alleine der SF vorbehalten wäre, wahrscheinlich steht er als Grunderfahrung am Beginn jeglicher Liebe zur Kunst – vielleicht sogar der Liebe überhaupt. Und wahrscheinlich erwächst aus ihm ebenso romantisierende Nostalgie wie jene bornierte Rückwärtsgewandtheit, die überzeugt ist, dass früher grundsätzlich alles besser war. Wenn dem so ist und wenn die SF, wie ich in dieser Studie versucht habe darzulegen, dank ihres Wesens und Funktionierens besonders dazu geeignet ist, den SoW zu erzeugen, dann scheint SF kein Modus des visionären Vorwärtsschauens zu sein, sondern vielmehr des wehmütigen Blicks zurück, zurück in jene Zeit, als die Zukunft noch jung war und alles möglich schien (333f.)
Zweifellos ist dies nicht die einzige Art und Weise, SF zu rezipieren, und natürlich gilt diese Beschreibung längst nicht für alle Fans. Aber wenn The Force Awakens etwas unter Beweis stellt, dann, wie stark dieses nostalgische Verlangen vielerorts offensichtlich ist.
Aus ökonomischer Perspektive ist bemerkenswert, wie sehr eine solche Rezeptionshaltung den Interessen der Unterhaltungsindustrie entgegenkommt. Vermarktungstechnisch sind Fans ohnehin eine attraktive Zielgruppe, da sie sich nicht nur die Filme ansehen, sondern auch Abnehmer für alle möglichen Arten von Merchandising und Tien-ins sind. Auch hierfür ist Star Wars das Lehrbuchbeispiel; George Lucas hat das moderne Merchandising zwar nich erfunden, er hat es aber auf eine neue Intensitätsstufe gehoben. Und wenn die Fans wie im Falle von Star Wars regelrecht danach verlangen, dass alles beim Alten bleibt, ist aus Sicht der Produzenten so etwas wie ein Idealzustand erreicht. Disney respektive J.J. Abrams müssen nicht einmal so tun, als würden sie etwas Neues erzählen. Dass sie sich weitgehend darauf beschränken, die altbekannte Geschichte zu rezyklieren, wird hier zum Qualitätsmerkmal. Der Blockbuster im Zeitalter seiner ewigen Reproduzierbarkeit.
Rian Johnson, der als Regisseur für Episode VIII vorgesehen ist, dürfte es allerdings schwerer haben als Abrams. The Force Awakens kam unter anderem das schlechte Image der zweiten Trilogie zugute. Der allgemeine Konsens lautet, dass George Lucas mit diesen Filmen dem Geist der ersten Trilogie untreu wurde,[ref]Das Image von Lucas innerhalb der Star-Wars-Welt unterscheidet sich markant von dem anderer Saga-Begründer. Im Falle von Star Trek etwa lautet die gängige Formel, dass deren Erfinder Gene Roddenberry seine völkervereinende Vision mühsam gegen die Widerstände von einzig auf kommerziellen Erfolg ausgerichteten Managern durchsetzen musste. Alles, was einem an der Serie nicht passt, ist somit nicht Roddenberrys Fehler, sondern kann bösen Kräften angelastet werden. Dieses Muster ist im Fandiskurs oft anzutreffen: Es gibt eine mythische Frühphase, in der Autoren und Fans noch auf Augenhöhe miteinander verkehren und eine gemeinsame Vision teilen. Früher oder später setzt aber eine Degeneration ein, die geliebte Serie wird Mainstream, kommerzialisiert und büsst in den Augen der Fans essenzielle Qualitäten ein. Zu Star Wars will diese Erzählung freilich nicht recht passen. Zum einen hat Lucas wie kein anderer die Kommerzialisierung seiner Erfindung vorangetrieben; zum anderen zeichnet er selbst als Regisseur für die misslungene zweite Trilogie verantwortlich. Der Schöpfer selbst ist der dunklen Seite anheim gefallen und taugt damit nicht mehr als Bewahrer der ursprünglichen Werte. Diese Rolle kommt nun alleine den Fans zu. Siehe dazu auch Die Konstitution des Wunderbaren, S. 326–330.[/ref] dass die ursprüngliche Magie abhanden kam. Nach dem neuen Film präsentiert sich die Situation nun anders; jetzt gibt es wieder einen Film, der sich richtig anfühlt, die Messlatte ist somit ungleich höher gesetzt. Zudem dürfte sich der Trick, den gleichen Film mit leichten Variationen noch einmal zu drehen, kaum wiederholen lassen, schliesslich muss die Geschichte von The Force Awakens ja weiter gehen und ein zweites The Empire Strikes Back dürfte trotz allem kaum machbar sein. Das wahre Pièce de Résistance steht somit noch bevor.[ref]Siehe dazu auch den lesenswerten Artikel von Gerry Canavan der aufgrund eines Vergleichs mit Lord of the Rings zum Schluss kommt, dass die folgenden Star-Wars-Filme deutlich düsterer ausfallen könnten als The Force Awakens.[/ref]