Artikel zu «Phantastik und Futurologie» als Download verfügbar

Mein Artikel «Aus Lems Steinbruch der Theorie» zu Stanisławs Lem theoretischem Opus magnum Phantastik und Futurologie, von dem früher bereits die Rede war, ist nun als PDF frei verfügbar.

Spiegel, Simon: «Aus Lems Steinbruch der Theorie. Zu Phantastik und Futurologie». In: Rzeszotnik, Jacek (Hg.): Ein Jahrhundert Lem (1921–2021). Wrocław/Dresden: ATUT/Neisse Verlag 2021, 67–81.

Erschienen: «Aus Lems Steinbruch der Theorie»

Lem: Sade und die Spieltheorie

Ein langer Weg: Von hier

Dem polnischen Schriftsteller Stanisław Lem kommt in meinem wissenschaftlichen Werdegang, aber auch in meiner Science-Fiction-Biografie (wenn es denn so etwas gibt) eine wichtige Rolle zu. Ich stiess Ende meiner Teenager-Jahre auf Lems Werk – ein Schuber von Suhrkamp mit fünf Lem-Büchern, den ich damals erstand, steht nach wie vor in meinem Regal – und war davon ziemlich begeistert. In meinem Enthusiasmus übernahm ich weitgehend die zu dieser Zeit im deutschsprachigen Raum vorherrschende Einschätzung, dass Lem innerhalb der Science Fiction, die ich nur sehr bruchstückhaft kannte, die grosse Ausnahme darstellte: Ein Autor, der seine trivialen Kollegen sowohl hinsichtlich seiner wissenschaftlichen wie auch seiner literarischen Bildung haushoch überragte, der im Grunde als einziger Science Fiction schrieb, die diesen Namen tatsächlich verdiente.

Lem: Phantastik & Futurologie

Über da

Ein paar Jahre später, 2001 um genau zu sein, ich studierte an der Humboldt Universität zu Berlin, begegnete mir dann in einem Seminar zum phantastischen Film erstmals Tzvetan Todorovs Einführung in die fantastische Literatur, ein Text, der bei mir vor allem für Irritation sorgte. Denn was Todorov darin beschreibt, hatte offensichtlich nichts mit Science Fiction zu tun und schien mir auch sonst eher wirr. Ich weiss nicht, ob es mehr über mich oder über den Kurs aussagt, dass mir damals nicht klar war, dass die Veranstaltung ja gar nicht Science Fiction, sondern eben den phantastischen Film zum Thema hatte. Wie dem auch sei: Todorov passte mir nicht, und so empfand ich es denn als regelrechten Wink des Schicksals, als ich auf einem der vielen Büchertische, die ich leidenschaftlich durchstöberte, einen Band des von mir so geschätzten Lems fand, der einen Text mit dem Titel «Tzvetan Todorovs Theorie des Phantastischen» enthielt. Genau das hatte mir gefehlt; endlich würde jemand, der wirklich wusste, was Sache ist, Todorov mal zeigen, wo der Hammer hängt. In der Folge nahm ich mir zuerst Lems Essay vor und machte mich, einmal auf den Geschmack gekommen,  danach auch an dessen theoretisches Opus magnum, das zweibändige Phantastik und Futurologie.

Die Auseinandersetzung mit Todorov respektive Lem war kurzfristig sehr unproduktiv, dafür langfristig umso folgenreicher. Im Laufe der Lektüre wurde mir nämlich klar, dass Lem als Literaturtheoretiker schlicht unbrauchbar und Phantastik und Futurologie ein Unding ist (merke: Wenn ein Schriftsteller ein grosses, am besten über 500-seitiges theoretisches Werk schreibt, missglückt es in aller Regel). Irgendwann brach ich meinen Versuch, Todorov mittels Lem Herr zu werden, ab und wandte mich anderen Autoren zu, die mir helfen sollten, die Phantastik bzw. die Science Fiction besser zu verstehen. Diese Suche mündete schliesslich in meine Dissertation Die Konstitution des Wunderbaren. Am Anfang meiner Beschäftigung mit Science Fiction, die noch heute meine wissenschaftliche Arbeit prägt, stand somit Lem (ein weiterer Ableger ist der Band Theoretisch phantastisch, der sich ganz Todorov widmet).

Die Konstitution des Wunderbaren

Hierhin

Obwohl meine Begeisterung für Lem damals Schaden nahm – mittlerweile erkannte ich zudem, dass es durchaus auch andere fähige AutorInnen in der SF gab –, trug ich seit Jahren die Idee mit mir herum, mal etwas zu Phantastik und Futurologie zu schreiben, einem Werk, zu dem so gut wie nichts publiziert wurde und das in der theoretischen Diskussion praktisch inexistent ist. Als mein geschätzter Phantastik-Kollege Jacek Rzeszotnik mich vergangenes Jahr anfragte, ob ich etwas zu einem Band anlässlich von Lems hundertsten Geburtstag beisteuern würde, müsste ich deshalb nicht lange überlegen.

Und nun ist der schöne Band Ein Jahrhundert Lem. 1921–2021 also da. Darin enthalten mein Artikel «Aus Lems Steinbruch der Theorie. Zu Phantastik und Futurologie», die meines Wissens umfassendste kritische Würdigung von Lems Versuch einer Theorie der Science Fiction.

EDIT: Der Artikel ist steht nun zum Download bereit.

Ein Jahrhundert Lem

Und schliesslich hierhin

Erwähnte Werke

Lem, Stanisław: Phantastik und Futurologie. Bd. 1. Aus dem Polnischen übers. von Beate Sorger und Wiktor Szacki. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1977.

Lem, Stanisław: Phantastik und Futurologie. Bd. 2. Aus dem Polnischen übers. von Edda Werfel. Frankfurt a. M.: Insel Verlag 1984.

Todorov, Tzvetan: Einführung in die fantastische Literatur. Aus dem Französischen übers. von Karin Kersten, Senta Metz und Caroline Neubaur. Frankfurt a.\,M.: Fischer 1992.

Lem, Stanisław: «Tzvetan Todorovs Theorie des Phantastischen». In: Ders.: Essays. Bd. 1. Sade und die Spieltheorie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1981, 9–34.

Spiegel, Simon: Die Konstitution des Wunderbaren. Zu einer Poetik des Science-Fiction-Films. Marburg: Schüren 2007.

Spiegel, Simon: Die Theoretisch phantastisch. Eine Einführung in Tzvetan Todorovs Theorie der phantastischen Literatur. Murnau am Staffelsee: p.machinery 2010.

Spiegel, Simon: «Aus Lems Steinbruch der Theorie. Zu Phantastik und Futurologie». In: Rzeszotnik, Jacek (Hg.): Ein Jahrhundert Lem (1921–2021). Wrocław/Dresden: ATUT/Neisse Verlag 2021, 67–81.

Diskussion zum phantastischen Film in der Schweiz

In der Reihe «Filmtalk» des Vereins Zürich für den Film fand gestern Abend im Kino Xenix eine Gesprächsrunde zum Thema «Fantastische Filme: in der Schweiz unerwünscht?» statt. Unter der Leitung von Achim Hättich diskutierten Bianca Gadola, Ivan Engler und meine Wenigkeit zum Thema.

Warnung: Das Gespräch fand mehrheitlich auf Schweizerdeutsch statt.

 

ZfF #11

Spät kommt sie, aber sie kommt. Rechtzeitig vor der GFF-Jahrestagung in Münster sollte dieser Tage die neue Ausgabe der Zeitschrift für Fantastikforschung bei den Abonnenten eintrudeln. Eigentlich hätte sie schon vor mehreren Monaten erscheinen sollen, aus verschiedenen Gründen hat sich die ganze Sache aber leider verzögert.

Neben rund 60 Seiten mit Rezensionen aktueller wissenschaftlicher Literatur bietet die Ausgabe viel Material für alle, die am SF-Kino interessiert sind. Joerg Hartmann leistet in seinem Artikel «‹An absolutely fascinating period piece …›» Grundlagenforschung. Hartmann ist im Rahmen seines Forschungsprojekts, in dem es eigentlich um die Metapher des Raumflugs geht, über Anton Kutters Kurzfilm Weltraumschiff 1 startet – Eine technische Fantasie aus dem Jahr 1936 gestolpert. Kutter war nicht nur Filmemacher, der nach ersten Erfolgen unter den Nazis in Ungnade fiel, sondern auch ein begeisterter Hobby-Astronom. Sein Film (auf YouTube verfügbar, s. unten) ist ein aus heutiger Sicht seltsamer Hybrid aus Fiktion- und Nichtfiktion mit durchaus sehenswerten Spezialeffekten. Über diesen halb vergessenen Film war bislang wenig Gesichertes bekannt; Hartmann hat sich in Archive begeben sowie Kutters Sohn Adrian ausfindig gemacht und kann nun erstmals die Entstehung dieses filmhistorischen Kuriosums dokumentieren.

Szilvia Gellai widmet sich in ihrem Artikel ebenfalls dem deutschen SF-Kino und zwar Rainer Werner Fassbinders Welt am Draht von 1973Fassbinders Verfilmung von Daniel F. Galouyes Roman Simulacron-3 aus dem Jahr 1964 ist zwar deutlich weniger obskur als Weltraumschiff 1 startet, da der Film aber lange nicht greifbar war, umwehte in während Jahren ein Hauch des Legendären. Welt am Draht ist eine Art Matrix avant la lettre und spielt in einer Welt, in der eine perfekte Computersimulation existiert, deren ‹Bewohner› nicht wissen, dass sie bloss Programme sind. Natürlich stellt sich je länger je mehr die Frage, ob denn die vermeintliche «Basiswelt» nicht ihrerseits ebenfalls eine Simulation ist. Gellai rückt den Moment des Conceptula Breakthrough, also die schlagartige Einsicht, dass die Welt ganz anders beschaffen ist als bisher gedacht, ins Zentrum ihrer Überlegungen und arbeitet zahlreiche Parallelen zwischen Fassbinders Film und Sigmund Freuds tiefenpsychologischem Modell heraus.

Welt am Draht

Virtual Reality im Jahr 1973

 

TitelblattAls ich vor gut zehn Jahren meine Dissertation Die Konstitution des Wunderbaren schrieb, konnte ich in der Einleitung noch guten Gewissens festhalten, dass kaum wissenschaftliche Studien zum SF-Fandom existieren würden. Das hat sich mittlerweile drastisch geändert, die Fan Studies gehören seit einigen Jahren zu den boomenden Feldern innerhalb der Fantastikforschung. Matthias Völckers Beitrag ist hierfür ein Beispiel. Völcker präsentiert in seinem Artikel «‹Du bist einfach nur ein absoluter Freak›» die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, in deren Rahmen er 25 Interviews mit Star-Wars-Fans im Alter von sieben bis 46 Jahren geführt hat. Obwohl sich die interviewten Fans in Alter, Geschlecht und Interessen – einige der jüngeren Fans haben die Star-Wars-Filme noch gar nicht gesehen – unterscheiden, gibt es auch zahlreiche Gemeinsamkeiten. So beschreiben alle Interviewten eine Art Initiationserlebnis, das sie zum Fan machte; für alle ist Star Wars ein identitätsstiftender Gegenstand, der Teil ihres eigenen Selbstverständnisses ist.

AuroraIn meinem eigenen Beitrag beschäftige ich mich für einmal nicht mit Film. Vielmehr widme ich Aurora, dem jüngsten Roman des von mir hoch geschätzten Kim Stanley Robinson. In Aurora, der in SF-Kreisen für einigen Wirbel gesorgt hat, erteilt Robinson der Idee, dass der Mensch in absehbarer Zeit Planeten ausserhalb des Sonnensystems besiedeln könnte, eine deutliche Absage, was für manchen eingefleischten SF-Fan schon fast an ein Sakrileg grenzt.. Was mich in meinem Review Essay aber fast mehr interessiert, ist die Erzählkonstellation des Romans, denn als Erzähler fungiert in Aurora das Raumschiff, mit dem die Menschen zum titelgebenden Mond Aurora unterwegs sind. Ergänzt werden meine Überlegungen durch ein Interview mit Robinson, der sich wie immer als äusserst reflektierter Zeitgenosse erweist und über die teilweise heftigen Reaktionen keineswegs überrascht war: «Ich hätte etwas falsch gemacht, wenn es nicht zu entsprechenden Reaktionen gekommen wäre» (S. 88).

Das Inhaltsverzeichnis zum Download.

Von Phantastik sprechen

Tzvetan Todorov

Todorov und kein Ende.

Die nächste Ausgabe der Zeitschrift für Fantastikforschung verspätet sich leider etwas und wird erst im neuen Jahr erscheinen. Gewissermassen zur Überbrückung der Wartezeit stelle ich nun meinen Artikel «Wovon wir sprechen, wenn wir von Phantastik sprechen» online, der in der letzten Ausgabe der ZFF erschienen ist.

Ich habe schon früher kurz über diesen Artikel geschrieben; es ist ein Versuch, die leidige Diskussion um den Phantastikbegriff, die seit der Veröffentlichung von Tzvetan Todorovs Einführung in die fantastische Literatur (das französische Original erschien 1970, die erste deutsche Übersetzung bereits zwei Jahres später)  in der deutschsprachigen Forschung mehr oder weniger heftig tobt, auf eine Meta-Ebene zu hieven. Ausgangspunkt ist die im Grunde nicht sonderlich neue Einsicht, dass Genredefinitionen kontextgebunden sind; jede Genredefinition, sei sie nun explizit oder – was häufiger der Fall ist – nur implizit, vollzieht sich vor dem Hintergrund eines Genrebewusstseins und ist somit auch nicht überzeitlich stabil.[ref]Siehe dazu den lesenswerten Text von Jörg Schweinitz. Als Filmwissenschaftler schreibt Schweinitz zwar über den Film, seine Überlegungen gelten aber ebenso für die Literatur.[/ref] Vielmehr sind Genres historisch und – abhängig von der jeweiligen «Benutzergruppe» – hochgradig wandelbar. Die zeitweise ziemlich erbittert geführte Diskussion, was Phantastik denn nun wirklich ist, erscheint vor dem Hintergrund der modernen Genretheorie als ziemlich sinnlose Angelegenheit.

Der ZFF-Artikel war nicht zuletzt der Versuch, das Thema Todorov zumindest für mich endlich abzuschliessen. Nach längeren Passagen in meiner Diss, einem ganzen Buch zum Thema sowie eben dem ZFF-Artikel glaube ich, eigentlich alles zum Thema gesagt zu haben. Frei nach Wittgenstein: «Worüber man schon alles gesagt hat, darüber muss man schweigen.»

Thomas Morus

Keine Liebe für Thomas Morus bei der GFF.

Mittlerweile bin ich aber bereits unsicher, ob ich diesem Vorsatz treu bleiben kann. Die nächste Jahrestagung der Gesellschaft für Fantastikforschung, die vom 22. bis 24. September an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster stattfinden wird, läuft nämlich unter dem Thema: «The Fantastic Now: Tendenzen der Fantastikforschung im 21. Jahrhundert». Nun sind solche Schwerpunkte zwar nicht wirklich bindend, erfahrungsgemäss sind die Beiträge inhaltlich weitaus weiter gestreut als das eigentliche Tagungsthema. Dennoch bin ich nicht sonderlich begeistert über diesen Schwerpunkt. 2016 würde sich angesichts des 500-jährigen Jubiläums der Erstausgabe eines gewissen Buches eigentlich ein anderes Thema, das mir derzeit sehr viel näher steht – siehe auch die Adresse dieses Blogs – anbieten. Und wenn als erstes mögliches Vortragsthema im Call for Paper «Was ist ‹Fantastik›?» genannt wird, wirkt das auf mich fast ein bisschen, als wolle man die Forschungsgeschichte zurückdrehen und wieder zu den wenig ergiebigen Diskussionen rund um Todorov und die Frage, was Phantastik denn nun wirklich ist, zurückkehren. Ich bezweifle, dass hier noch viel Interessantes geleistet werden kann und verweise diesbezüglich ganz unbescheiden noch einmal auf meinen Artikel.

Wie ich gehört habe, äussert sich Todorov selbst übrigens seit Jahren nicht mehr zum Thema und lehnt alle entsprechenden Einladungen und Anfragen ab. Vielleicht nicht die schlechteste Strategie.

Literatur

Todorov, Tzvetan: Einführung in die fantastische Literatur. Aus dem Französischen übers. von Karin Kersten, Senta Metz, Caroline Neubaur et al. Frankfurt a.\,M. 1992 (Original: Introduction à la littérature fantastique. Paris 1970).

Schweinitz, Jörg:«‹Genre› und lebendiges Genrebewusstsein. Geschichte eines Begriffs und Probleme seiner Konzeptualisierung». In: montage/av. Jg. 3, Nr. 2, 1994, 99–118. [→ PDF]

Spiegel, Simon: Theoretisch phantastisch. Eine Einführung in Tzvetan Todorovs Theorie der phantastischen Literatur. Murnau am Staffelsee 2010.

– : «Wovon wir sprechen, wenn wir von Phantastik sprechen». In: Zeitschrift für Fantastikforschung. Jg. 5.1, Nr. 9, 2015, 3–25. [→PDF]

ZFF #9

Dieser Tage sollt die neue Ausgabe der Zeitschrift für Fantastikforschung bei den Abonnenten eintrudeln. Es ist das erste Heft, an dem ich als Mit-Redaktor beteiligt war, und enthält natürlich wieder zahlreiche lesenswerte Artikel.

Neue Begegnungen

Markus Orths

Ein Interview mit Markus Orths eröffnet die neue Rubrik «Begegnungen».

Neben der veränderten Redaktion wartet ZFF Nummer 9 auch mit einer inhaltlichen Neuerung auf, die mir besonders am Herzen liegt. Erstmals gibt es in dieser Ausgabe die Sparte «Begegnungen». Hier soll die Brücke zu den Menschen geschlagen werden, ohne die wir arbeitslos wären – den Schöpfern der Werke, denen wir uns widmen. Wir drucken allerdings nicht bloss ein Interview ab, vielmehr möchten wir uns einem aktuellen Werk jeweils von zwei Seiten her nähern: Durch einen wissenschaftlichen Artikel sowie in einem Gespräch mit dem/r jeweiligen Autor/in (selbstverständlich sind hier grundsätzlich auch Gespräche mit Schöpfern nicht-literarischer Werke denkbar). Den Auftakt macht Ebenfalls-Neu-Redaktorin Laura Zinn mit Markus Orths’ Roman Alpha & Omega.

Die Rubriken «Review-Essay» und «Internationale Perspektiven zur Fantastik» sind zwar nicht neu, in dieser Ausgabe ist aber Letztere mit zwei Artikeln besonders prominent vertreten. Matthias Teicher gibt in seinem Artikel einen Überblick über das (den?) Finnish Weird und Co-Redaktor Jacek Rzeszotnik widmet sich der polnischen Nachkriegsfantastik. Während mir die finnische Literatur insgesamt völlig unbekannt ist, kenne ich aus dem Bereich der polnischen Phantastik zumindest das Werk Stanisław Lems recht gut; wie nicht anders zu erwarten, zeigt Jacek aber, dass sich die polnische Phantastik durchaus nicht auf Lem beschränkt.

Wieder einmal Todorov

Tzvetan Todorov mit Schubladen

Treibt die Forschung schon lange um: Tzvetan Todorov.

Eröffnet wird das Heft durch zwei Artikel, zu denen ich eine besondere Beziehung habe. Im einen Fall ist das nicht weiter erstaunlich, denn er stammt aus meiner Feder. Die Idee zu «Wovon wir sprechen, wenn wir von Phantastik sprechen» hatte ich schon vor geraumer Zeit; tatsächlich hat das Stöbern in alten E-Mails ergeben, dass ich GFF-Chef und Mit-Redaktor Lars Schmeink gegenüber bereits Ende 2010 davon sprach; gut Ding will eben Weile haben … In dem Artikel widme ich mich einmal mehr der alten Streitfrage der Phantastik-Definition. Allerdings schlage ich keine neue Nomenklatur vor, vielmehr geht es mir um eine meta-theoretische Reflexion darüber, warum die Frage, was Phantastik denn nun wirklich ist, so unterschiedliche Ergebnisse zeitigt. Im Kern – und für aufmerksame Leser dieses Blogs nicht unbedingt erstaunlich – dreht sich alles um genretheoretische Fragen. Polemisch formuliert: Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Phantastikforschung kümmert sich nicht um die Erkenntnisse der Genretheorie, was sich direkt auf die jeweiligen Definitionen auswirkt.

Teil meiner Argumentation ist eine ausführliche Auseinandersetzung mit Tzvetan Todorovs Phantastiktheorie, da in dieser im Grunde bereits alle wesentlichen Probleme zutage treten. Es ist nur wenig übertrieben zu sagen, dass sich in der Phantastikforschung seit Todorov in genretheoretischer Hinsicht fast nichts getan hat.

Nach meiner Diss und dem Büchlein Theoretisch phantastisch ist das nun bereits das dritte Mal, dass ich mich an Todorov abarbeite, und ich bin vorsichtig optimistisch, dass  das Thema damit zumindest für mich vorerst gegessen ist.

Update: Der Artikel ist mittlerweile online verfügbar.

Die Wahrheit über Utopia

[zff]_99814-9_1-2015.inddWährend der Phantastik-Artikel eher eine Frucht meiner bisherigen wissenschaftlichen Beschäftigung darstellt, ist der zweite Artikel, Thomas Schölderles «Die Genese Utopias», direkt mit meinem aktuellen Forschungsprojekt verbunden. Schölderles Dissertation Utopia und Utopie ist einer der zentralen Bausteine, auf dem meine aktuelle Arbeit aufbaut; umso mehr freut es mich, dass er unsere Zeitschrift mit einem Artikel bedacht hat. Schölderle reagiert darin auf eine These des Anglisten Jürgen Meyer, der in seiner Habilitation Textvarianz und Schriftkritik argumentiert, dass die veröffentliche Version von Thomas Morus’ Utopia zahlreiche Änderungen enthielt, die gegen den Willen das Autors vorgenommen wurden. Insbesondere die Begleittexte und eine angeblich nicht von Morus autorisierte Gräzisierung diverser Namen hätten dazu geführt, dass das veröffentliche Buch nicht mehr Morus’ Absichten entsprach. Wäre an dieser Behauptung etwas dran, hätte das weitreichende Folgen, da insbesondere die dem eigentlichen Buch vorangestellten Begleittexte normalerweise als Hinweis für dessen satirische Absicht gelesen werden. Wenn diese und die zahlreichen griechischen Wortspiele – u.a. der Titel «Utopia» selbst – nicht mehr von Morus stammen, stehen die bisher gängigen Interpretation insgesamt zur Debatte. Alle, die Schölderles Arbeiten kennen, dürfte es kaum überraschen, dass er Meyers These detailliert zerpflückt. Obwohl der Artikel streng genommen eine Erwiderung auf Meyer ist, eignet er sich hervorragend als Einführung in den komplexen Aufbau des morusschen Urtextes.

Selbstverständlich dürfen auch in dieser Ausgabe die wissenschaftlichen Rezensionen nicht fehlen; 13 Stück sind es dieses Mal, und sie reichen von dem von Rob Latham herausgegebenen Oxford Handbook of Science Fiction über den Sammelband Harry Potter Intermedial bis Jon Towlsons Subversive Horror Cinema.

Einmal mehr also reichhaltiges Material für alle Phantastikforscher.

Das Inhaltsverzeichnis zum Download.

Generisches

Genretheorie ist eines meiner wissenschaftlichen Steckenpferde; ein Grund dafür ist wohl, dass im Phänomen des Genres ganz unterschiedliche Aspekte, die mich interessieren, zusammenkommen: Es geht um wiederkehrende Motive und Plot-Elemente, also um Textanalyse und Dramaturgie. Es geht aber auch um Fragen der Rezeption, denn Genres haben nicht zuletzt eine wichtige Orientierungfsunktion. Für den Zuschauer dienen sie als eine Art narrative Abkürzungen: Es reicht, einen Mann mit Cowboyhut auf einem Pferd zu zeigen, und schon wissen wir, was wir von dem Film erwarten können. Und mit diesen Erwartungen kann der Film wiederum spielen. Da Genres nicht stabil sind, sondern sich laufend verändern, darf sich ihre Analyse allerdings nicht auf den Film beschränken, sondern muss auch andere – filmexterne – Faktoren wie z.B. die Werbung berücksichtigen. Idealerweise kombinieren Genrestudien deshalb die Filmanalyse mit historischer Recherche.

Soweit ich die Geschichte der Genretheorie überblicke, scheint sie von mehrfachen «Rückschlägen» geprägt. Denn dass sich Genres nicht auf einer abstrakt-systematischen Ebene beschreiben lassen, erkannten bereits die russischen Formalisten in den 1920er Jahren. So schrieb Boris Tomaševskijs in seiner 1931 erstmals erschienenen Theorie der Literatur 

dass es nicht möglich ist, irgendeine logische oder fest umrissene Genreklassifikation zu erstellen. Ihre Abgrenzung ist immer historisch, d. h. sie trifft nur auf einen bestimmten historischen Moment zu (Tomaševskij: 249).

Diese Erkenntnis scheint «unterwegs» aber verloren gegangen zu sein. Für die Strukturalisten, die ja in vielen Punkten das Programm der Formalisten weiterführen, war keineswegs evident, dass sich Genres systematischen Beschreibungsversuchen widersetzen. Vielmehr versuchten sie, Genres auf elementare Strukturen zu reduzieren (das prominenteste Beispiel ist natürlich Todorovs Phantastik-Theorie). Dies ist aber nur möglich, wenn man sich von der Genregeschichte verabschiedet und beispielsweise darüber hinwegsieht, dass ein Western der 1940er Jahre in vielerlei Hinsicht anders aussieht  als einer der 1970er. Ein Beispiel unter vielen möglichen zur Illustration: In den Spaghetti-Western der 1970er tragen die Revolverhelden auf einmal lange Mäntel. Eine markante Veränderung der Ikonographie, die sich kaum durch eine abstrakte Regel erklären lässt.

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In Sergio Leones Once Upon a Time in the West sind lange Mäntel im Trend.

Nachdem in den 1960er und 1970er Jahren die meisten Genre­konzeptionen ausschliesslich vom Text (gemeint sind Filme und literarische Texte) ausgingen, hat sich mittlerweile sowohl in der Film- als auch der Literaturwissenschaft die Erkenntnis durchgesetzt, dass dieses Vorgehen nicht reicht, um das Phänomen Genre zu erfassen. Deshalb versuchen moderne Ansätze, die formale Analyse vor dem Hintergrund des jeweiligen historischen Kontexts zu betreiben. Für mich war Rick Altmans Buch Film / Genre diesbezüglich ein Augenöffner. Ich kann es jedem, der sich für Genretheorie interessiert, wärmstens empfehlen.

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Rick Altmans Film/Genre

Die Theorie mag weit fortgeschritten sein, die Auswirkungen auf die Forschung lassen aber nach wie vor auf sich warten. Viele Studien zu Phantastik, SF und verwandten Bereichen zeigen sich auch heute noch vollkommen ignorant in Sachen Genretheorie. Die Dissertation von Karin Angela Rainer, von der hier bereits die Rede war, verfährt beispielsweise völlig unbeleckt von jeder genretheoretischen Überlegung und kommt zu entsprechend hanebüchenen Ergebnissen. Ein Extrembeispiel, aber in der Tendenz keineswegs allein. Wie ich aus eigener Erfahrung berichten kann, scheint es unter angehenden Forschern einen fast natürlichen Reflex zu geben, die Dinge erst einmal ordnen zu wollen. Meine Liz-Arbeit (so hiess die Master-Arbeit früher bei uns), welche die Grundlage meiner Diss bildetet, begann ich mit just diesem Anspruch: Endlich einmal aufräumen im grossen Genrewirrwarr und klare Kategorien etablieren. Glücklicherweise stiess ich rechtzeitig auf Altman und konnte ausgehend von seinen Überlegungen einen Ansatz entwickeln, der sich bis heute als tragfähig erweist.

Der natürliche Ordnungsdrang in Verbindung mit der naiven Vorstellung, dass Genres da draussen irgendwie an sich existieren, führt dazu, dass viele Arbeiten völlig ahistorisch verfahren und nur jene Filme und Romane untersuchen, die eben der jeweiligen Definition entsprechen. Das muss nicht per se falsch sein, führt aber oft zu völlig verzerrten Darstellungen historischer Entwicklungen. Und letztlich lässt sich ein Grossteil der Diskussionen, was SF, Phantastik etc. denn nun wirklich sind, auf genretheoretische Fragen zurückführen. Denn entscheidend ist meist gar nicht, wie man Phantastik, SF etc. definiert, sondern von welcher Art das Ding ist, das man da definieren will.

Ich hatte schon länger die Absicht, einen Artikel zu schreiben, in dem ich die – deutsche – Phantastik-Diskussion aus genretheoretischer Sicht aufrolle (John Rieder hat in einem lesenswerten Artikel bereits etwas Ähnliches für die SF getan). Rainers Studie gab dann den Ausschlag, dass ich mich endlich hingesetzt und das Vorhaben ausgeführt habe. Gestern habe ich den Artikel mit dem Titel «Wovon wir sprechen, wenn wir von Phantastik sprechen» abgeschlossen und meinen Kollegen von der ZFF zugeschickt, nun geht er ins Peer Review (ja, auch Herausgeber müssen diesen Prozess durchlaufen). Sollte der Artikel auf Zustimmung stossen, wird er in der nächsten ZFF erscheinen.

Bibliografie

Altman, Rick: Film/Genre. London 2000.
Rieder, John: «On Defining SF, or Not: Genre Theory, SF, and History». In: Science Fiction Studies 37.2/111, 2010, 191-209.
Tomaševskij, Boris: Theorie der Literatur. Poetik. Hg. von Klaus-Dieter Seemann. Wiesbaden 1985 (Original: Teorija literatury, poetika. Moskau and Leningrad 1931).

Neue Aufgaben

Die aktuelle Ausgabe der ZFF

Die aktuelle Ausgabe der ZFF

Seit Montag ist es offiziell: Ich bin neu an der Seite von Jacek Rzeszotnik, Lars Schmeink (beide bisher) und Laura Muth (ebenfalls neu) Herausgeber der Zeitschrift für Fantastikforschung. Die ZFF, in der schon mehrfach Beiträge von mir erschienen sind – zuletzt mein Mystery-Artikel –, ist das offizielle Organ der Gesellschaft für Fantastikforschung und erscheint zweimal im Jahr. Ich freue mich sehr auf diese neue Aufgabe  und hoffe, dass ich ein bisschen dazu beitragen kann, dass die ZFF noch erfolgreicher wird.

Alles Weitere zur ZFF hier im ständigen Call for Papers:

Die Zeitschrift für Fantastikforschung (ZFF) ist interdisziplinär angelegt und erscheint zweimal jährlich, jeweils im Mai und im November. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, der wissenschaftlichen Diskussion rund um die Fantastik als kultureller Formation ein Forum zu bieten. Das ‹Fantastische› wird dabei als ein Oberbegriff verstanden, der Horror und Gothic ebenso umfasst wie Utopien, Science Fiction, Fantasy und Speculative Fiction, aber auch Märchen, Fabeln und Mythen. Im deutschsprachigen Raum ist die von der Gesellschaft für Fantastikforschung e.V. (GFF) herausgegebene Zeitschrift die einzige wissenschaftliche Publikation in deutscher Sprache, die regelmäßig erscheint und sich ganz der Auseinandersetzung mit dem Fantastischen widmet.
Publiziert werden Originalbeiträge aus den verschiedenen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit dem Fantastischen in Literatur, Kunst, Theater, Film, Comic und Computerspiel beschäftigen, einzelne Aspekte der Geschichte, Theorie und Ästhetik der Fantastik behandeln oder das Fantastische als soziales und gesamtkulturelles Phänomen untersuchen (z.B. in Fan- und Subkulturen). Zusätzlich dazu veröffentlicht die ZFF regelmäßig Übersetzungen von kanonischen Texten der internationalen Fantastikforschung, die bislang nicht auf Deutsch erschienen sind, deren Publikation aber für die Beförderung der Fantastikforschung in deutscher Sprache notwendig erscheint. Darüber hinaus erscheinen in der ZFF Rezensionen zu wichtigen Neuerscheinungen wissenschaftlicher Arbeiten.

Die Herausgeber rufen interessierte Forscher auf, sich mit Artikeln aus dem oben beschriebenen Gebiet an der Zeitschrift für Fantastikforschung zu beteiligen. Beiträge können jederzeit als Word-File unter zff@fantastikforschung.de eingereicht werden. Sie sollten (inkl. Leerzeichen, Fußnoten und Literaturverzeichnis) zwischen 40.000 und 70.000 Zeichen umfassen, einen originären Beitrag zur Fantastikforschung darstellen und noch nicht anderweitig veröffentlicht sein. Sämtliche Texte werden einem Peer-Review-Verfahren unterzogen, auf dessen Grundlage über ihre Publikation entschieden wird. Wer als Rezensent oder Übersetzer für die Zeitschrift tätig werden möchte, wende sich bitte ebenfalls an oben genannte Adresse. Informationen zur Form der Rezension erhalten Sie nach Bestätigung eines entsprechenden Auftrages.

Mysteriöses

Da dieser Tage die neue Ausgabe der Zeitschrift für Fantastikforschung ausgeliefert wird, kann ich nun gemäss Abmachung mit den Herausgebern einen Artikel zugänglich machen, der in der vergangenen Ausgabe erschienen ist. In «Das große Genre-Mysterium: Das Mystery-Genre» befasse ich mich – welche Überraschung – für einmal nicht mit Utopien, sondern mit dem Mystery-Genre.

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Mit The X-Files fing alles an.

Der Artikel geht auf einen Vortrag zurück, den ich im November 2011 an einer Tagung zur Fernsehserie Lost hielt.[ref]Ein Mitschnitt des – englischen – Vortrags findet sich hier.[/ref] Ich selbst war von Lost nie wirklich begeistert; zum einen fand ich – im Gegensatz zu anderen «Qualitätsserien – einige der Schauspieler wirklich schlecht. Vor allem aber hat mich das ständige Rätsel-auf-Rätsel-Türmen schon bald genervt. Ich war denn auch alles andere als überrascht, dass das Ende so unbefriedigend ausfiel.[ref]An der Tagung hielt unter anderem Roberta Pearson, die den ersten wissenschaftlichen Sammelband zu Lost herausgegeben hat, eine Keynote. Es war für mich einigermassen beruhigend zu hören, dass selbst Pearson die letzte Staffel nicht zu Ende geschaut hat, da ihr die Serie mittlerweile zu sehr auf die Nerven ging.[/ref] Dennoch sagte ich gerne zu, als man mich anfragte, etwas zum Mystery-Genre zu erzählen, denn für mich war das eine gute Gelegenheit, einer These nachzugehen, die ich schon lange gehegt hatte. Wie ich in dem Artikel argumentiere, ist der Begriff «Mystery», wie er heute im Deutschen meist verwendet wird – also als Bezeichnung für irgendwie seltsame Geschichten – im Wesentlichen eine Erfindung des Fernsehsenders ProSieben. Ich kann anhand zahlreicher Quellen belegen, dass «Mystery» erst im Zusammenhang mit der Ausstrahlung von The X-Files auf ProSieben seine heutigen Bedeutung erhielt (im Englischen dagegen ist eine «mystery novel» schlicht und ergreifend ein Krimi).

Daneben enthält der Artikel noch einige grundsätzliche Überlegungen zur Genretheorie sowie ein paar Gedanken zur Verbindung von Todorovs Phantatsiktmodell, Mythentheorie, Fankultur und erzählerischer Komplexität in Fernsehserien. Alles Weitere kann bei Interesse hier nachgelesen werden. Eine englische Version des Artikels wird im Tagungsband enthalten sein, der demnächst erscheinen sollte.

Bibliographische Angaben

Pearson, Roberta E. (Hg.): Reading Lost. Perspectives on a Hit Television Show. London/New York 2009.

Spiegel, Simon: «Das große Genre-Mysterium: Das Mystery-Genre». In: Zeitschrift für Fantastikforschung. Jg. 4.1, Nr. 7, 2014, 2–26.

Spiegel, Simon: «The Big Genre Mystery: The Mystery Genre». In: Beil, Benjamin et al. (Hg.): LOST in Media. Berlin 2014 [im Druck].

GFF 2014

Gestern ging die fünfte Jahrestagung der Gesellschaft für Fantastikforschung (GFF) zu Ende. Die Veranstaltung, an der ich bereits zum vierten Mal teilnahm – einzig an der zweiten GFF-Konferenz in Salzburg war ich nicht dabei –, wurde heuer vom Department of English and American Studies der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt ausgerichtet (hier die Website der Tagung). Wie bereits in den vergangenen Jahren war es eine schöne Gelegenheit, um Bekannte zu treffen und neue Kontakte zu knüpfen. Inhaltlich war die Tagung aber zumindest für mich nicht sonderlich ergiebig, was vor allem an zwei Dingen lag, die wohl bis zu einem gewissen Grad zusammenhängen. Da wäre einerseits das Thema der diesjährigen Ausgabe. Auch die früheren GFF-Tagungen hatten jeweils einen inhaltlichen Schwerpunkt, dieser wurde aber in der Regel nicht allzu ernst genommen resp. war jeweils so offen formuliert, dass fast alles darunter gefasst werden konnte. Der diesjährige Schwerpunkt war mit «Fantastic Games» dagegen relativ eng abgesteckt. Zwar gab es auch dieses Jahr wieder einen sogenannten Open Track, in dem alles irgendwie Phantastische zugelassen war, die grosse Mehrheit der Vorträge drehte sich aber in der Tat um Spiele, wobei hier der Schwerpunkt wiederum auf Rollenspielen lag, vor allem auf dem populären deutschen System Das Schwarze Auge (DSA).

Nun spricht freilich nichts dagegen, für einmal alle DSA-Interessierten zu ihrem Recht kommen zu lassen, mich selbst reizte das Thema aber nicht sonderlich. Ich war auch überrascht, wie wenig fortgeschritten die Forschung in diesem Bereich offenbar ist. Mehrere Vorträge versuchten mehr oder weniger erfolgreich, das typische Pen-and-Paper-Rollenspiel mit literaturwissenschaftlichen Kategorien zu fassen. Dabei scheint mir ziemlich offensichtlich, dass dieser Ansatz relativ schnell an Grenzen stossen muss, denn beim Rollenspiel liegt kein irgendwie greifbarer Text vor. Der zentrale performative Aspekt lässt sich mit klassischen erzähltheoretischen Modellen ohnehin kaum fassen. Natürlich gab es wie immer auch anregende Vorträge, etwa zur Kulturgeschichte des Bühnenzaubers oder zu Games, die von gewohnten Pfaden abweichen und zum Beispiel ihre eigene Bedienungsmechanik zum Thema machen. Referate zur Utopie und selbst zum SF-Film waren insgesamt aber rar, der konkrete Nutzen für meine eigene Forschung somit ziemlich gering.

Vor allem aber waren dieses Jahr deutlich weniger Teilnehmer zu verzeichnen, was zu einem spürbar ausgedünnten Programm führte.  Vor allem der englischsprachige Track war doch ziemlich schmalbrüstig. Das betraf mich ganz direkt, da ich meinen Vortrag – im Wesentlichen identisch mit dem, den ich vor drei Wochen an der SF/F Now zum Besten gegeben hatte – auf Englisch hielt. Der Andrang zum Panel war denn auch ziemlich überschaubar.

Lag es am Thema oder am Austragungsort? Ich vermute, dass am Ende eine Kombination der beiden Faktoren ausschlaggebend war. Bei den Keynotes fehlte es auch ein bisschen an den grossen Namen (ausgenommen natürlich meine Kollegin Barbara Flückiger). Hinzu kam noch eine gute Prise Pech: Zwei als Keynote-Speaker angekündigte Gäste – u.a. Tanya Krzywinska, auf die ich mich gefreut hatte – mussten kurzfristig absagen.

Nichtsdestotrotz war die GFF-Konferenz auch dieses Mal wieder eine schöne Sache. Mein eigentliches fachliches Highlight erlebt ich allerdings erst in Zürich. Kaum war ich zu Hause angekommen – wo im Gegensatz zu Klagenfurt schönes Wetter herrschte –, traf ich mich mit Kim Stanley Robinson. Aber davon mehr in einem späteren Eintrag …

Update: Einen Tagungsband wird es voraussichtlich nicht geben. Da der Inhalt meines Vortrags bereit weitgehend in zwei früheren Publikationen abgedeckt ist, tangiert mich das nicht gross.

Update 2: Aufgrund der grossen Nachfrage wird es nun voraussichtlich doch einen Tagungsband geben. Allerdings ohne Beitrag von mir.