«Blade Runner» ist zurück

Dieser schon etwas ältere Artikel erschien, bevor Blade Runner 2049 in die Kinos kam. Für Gedanken zum Film von Denis Villeneuve siehe diesen Artikel.

Viel wurde gemunkelt, immer neue Gerüchte machten die Runde: Sind Harrison Ford und Regisseur Ridley Scott wieder dabei? Wann beginnen die Dreharbeiten? Worum wird es gehen in Blade Runner 2049? Jetzt wird das cineastische Geheimnis des Jahres endlich gelüftet. Die gleichermassen hoffnungsvoll wie ängstlich erwartete Fortsetzung zu Blade Runner kommt ins Kino.

Im Trailer scheint fast alles beim Alten: Die wehmütige Musik von Vangelis, die gigantischen, von Rauch und Dampf durchzogenen Stadtfluchten, die bedeutungsschwangeren Sentenzen. Selbst Ford und Scott sind nach über dreissig Jahren wieder mit von der Partie. Letzterer allerdings nur als Produzent und Ersterer nicht als Hauptfigur. Diesen Part spielt nun Ryan Gosling, unterstützt wird er unter anderem von der Tessinerin Carla Juri. Hochkarätig ist auch die Crew hinter der Kamera: Regie führt mit Denis Villeneuve der Star des smarten Mainstreamkinos, für die Bilder ist der Kameragott Roger Deakins zuständig.

Fortsetzungen sind in Hollywood nichts Ungewöhnliches. In den vergangenen fünfzehn Jahren sind Sequels und Prequels praktisch zum Kerngeschäft der Filmindustrie geworden. Blockbuster, die nicht auf bestehenden Stoffen aufbauen, sind mittlerweile Raritäten. Man schaue sich nur die Star-Trek-, Star-Wars– und Planet-of-the-Apes-Filme an.

Dennoch ist Blade Runner 2049 ein Sonderfall, denn hier erhält ein Meisterwerk eine Fortsetzung, das sowohl inner- als auch ausserhalb der Filmindustrie längst mythische Dimensionen erreicht hat. Es ist wohl nur wenig übertrieben, zu behaupten, dass kaum ein Film in den vergangenen 35 Jahren so einflussreich war wie Ridley Scotts Science-Fiction-Klassiker.

Am Plot allein kann es nicht liegen, denn der ist simpel: Harrison Ford spielt Rick Deckard, Angehöriger einer Spezialeinheit, die Jagd auf rebellierende Androiden macht, Replikanten genannt. Eine Gruppe solcher Replikanten unter Anführung des charismatischen Roy Batty (Rutger Hauer) hat es auf die Erde geschafft und will nun von ihrem Erbauer ein längeres Leben erhalten. Deckard spürt die Gesuchten einen nach dem anderen auf, verliebt sich unterwegs in die schöne Replikantin Rachael (Sean Young) und flüchtet, nachdem er auch Batty zur Strecke gebracht hat, mit ihr aus der Stadt.

Die Handlung folgt in groben Zügen der literarischen Vorlage Do Androids Dream of Electric Sheep? (1968) von Philip K. Dick. Aber diese erklärt nicht die Wirkung des Films. Was Blade Runner so einzigartig macht, ist sein spezieller Look, der oft als «retrofitted future», also «nachgerüstete Zukunft» bezeichnet wird. Diese Zukunft ist nicht blitzblank und steril wie in Star Trek, sondern heruntergekommen und verbraucht.

Statt alte Häuser einfach abzureissen, hat man im filmischen Los Angeles von 2019 auf die bestehende Infrastruktur aufgebaut. Nichts ist aus einem Guss, Gebäude und Maschinen sind notdürftig zusammengebastelt und nachgebessert, einstige Hightech-Geräte haben Rost angesetzt. Ridley Scott zeigt die zukünftige Grossstadt als düsteren und verregneten Moloch.

Aus jeder Öffnung dampft es, überall wuseln schräge Gestalten herum, riesige Werbetafeln und japanische Schriftzeichen führen zur völligen Desorientierung. – Und mittendrin Harrison Ford als später Nachfahre des hardboiled detective der 1930er- und 1940er-Jahre, der wie einst Humphrey Bogart als einsamer Wolf im Trenchcoat durch die schummrigen Gassen schreitet.

Einfluss auf Games

Diese Mischung aus Film noir und Science Fiction, aus High- und Lowtech fand unzählige Nachahmer: Die Mitte der 1980er Jahre entstandene Cyperpunk-Literatur, in der sich einsame Netzcowboys durch den Dschungel der Grossstadt und der Computerdaten kämpfen, nahm entscheidende Impulse aus dem Film auf. Die japanische Megametropole, die William Gibson, der Urvater des Cyberpunks, in seiner Neuromancer-Trilogie beschreibt, ist Ridley Scotts Los Angeles erstaunlich ähnlich.




Augen, überall Augen …

Von der Science-Fiction-Literatur ging es weiter in die Welt der Games und Comics und wieder zurück zum Film. Seien es The Fifth Element, Dark City, die Neuverfilmungen von Battlestar Galactica und Ghost in the Shell oder Ex Machina – alle diese Filme verweisen mehr oder weniger deutlich auf Blade Runner und stehen mit ihm in Dialog.

Die Faszination für den Film erreichte bald auch die Seminarräume der Universitäten. Zu wenigen Titeln wurde so viel und so oft angestrengt Tiefsinniges geschrieben: die marode Welt des Films als Vision des kollabierenden Spätkapitalismus; Deckard – man beachte die Ähnlichkeit des Namens mit Descartes – als grosser Zweifelnder; der Film als Meditation über das Wesen des Menschen, als postmodernes Vexierbild. Und immer wieder das Augenmotiv. Blade Runner ist geradezu besessen von diesem Sinnesorgan. Angefangen bei der leinwandfüllenden Grossaufnahme eines Auges zu Beginn des Films – die allerdings nicht in allen Versionen enthalten ist und damit umso bedeutungsvoller wird –, über den Empathietest, den Deckard mit potenziellen Replikanten durchführt und der Pupillenkontraktionen misst. Warum ist jeweils ein rötliches Flackern in den Augen der Replikanten zu sehen? Hat es einen tieferen Grund, dass Tyrell, der zurückgezogene Erbauer der Replikanten, so übergrosse Brillengläser trägt? Warum drückt ihm Batty schliesslich die Augen ein?

Und dann natürlich der berühmte Schlussmonolog Battys, der mit den Worten ansetzt: «I’ve seen things you people wouldn’t believe – ich habe Dinge gesehen, die ihr nicht glauben würdet. » – Es geht bei Blade Runner um nicht weniger als die letzten Fragen, um Wahrnehmung, um die Beschaffenheit der Welt und darum, was uns zu Menschen macht.

Rutger Hauer

«I have seen things … » – Rutger Hauer in Blade Runner

Diese grosse Nachwirkung war nicht absehbar, als der Film 1982 in die Kinos kam. Dem offiziellen Start ging eine tumultuöse Produktionsgeschichte voraus. Ridley Scott und sein Hauptdarsteller konnten es nicht miteinander, die Crew war unzufrieden und drohte zu rebellieren, Drehplan und Budget waren bald nur noch Makulatur, zwischendurch wurde Scott sogar gefeuert.

Vom Flop zum Kultfilm

Als der Film schliesslich fertig war, gefiel den Studio-Oberen das ursprünglich vorgesehene offene Ende nicht, das lediglich zeigt, wie Deckard und Rachael im Fahrstuhl verschwinden. Ein Happy End musste her, das Scott auch lieferte. Aus Landschaftsaufnahmen, die ursprünglich für Stanley Kubricks Horrorfilm The Shining gedreht worden waren, bastelte er eine glückliche Fahrt ins Grüne.

Vielerorts ist zu lesen, dass Blade Runner bei Erscheinen ein Flop war. Das ist übertrieben. In Wahrheit war der Start nur mittelmässig, die Kritiken waren durchzogen. Blade Runner hätte einfach ein Film unter vielen sein können, der bald in Vergessenheit gerät. Doch es kam anders: Blade Runner wurde – primär auf VHS und später Laserdisc – zu einem Kultfilm, akribisch analysiert von seiner stetig wachsenden Fangemeinde. Schon früh machte dabei das Gerücht die Runde, dass der Film nicht der ursprünglichen Vision Scotts entspreche. 1992 erschien endlich der Director’s Cut, der auf das Happy End und den verhassten Voice-over-Kommentar verzichtete, stattdessen die sagenumwobene Traumsequenz mit einem Einhorn enthielt (für Nichteingeweihte: Blade-Runnerologen sehen darin einen eindeutigen Hinweis darauf, dass Deckard ebenfalls ein Replikant ist).

Der Haken an der Sache: Dieser angebliche Director’s Cut ist gar keiner. Scott, der sich vorher nie über die veröffentlichte Version beklagt hatte, war an der Fertigstellung dieser Fassung, die relativ schnell zusammengeschustert wurde, nicht beteiligt. Dennoch trug sie entscheidend zum Mythos des Films bei und machte das Konzept des Director’s Cut einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Mit dem Director’s Cut war damit aber keineswegs Schluss. Die Blu-Ray-Box, die 2012 anlässlich des 30. Geburtstags des Films erschien, enthielt fünf verschiedene Fassungen, darunter den 2007 veröffentlichten Final Cut, der genau dem entsprechen soll, was Scott schon immer wollte.

Was aber macht den Reiz des Films aus? Warum verbringen Fans Monate damit, Deckards Knarre, den sogenannten Blaster, nachzubauen? Wieso füllen Filmwissenschafter und Philosophen Bücher mit Analysen des Films? Es liegt nicht nur an der Schönheit der Bilder, an der überwältigenden Kraft, die dieser Film entfalten kann, sondern vor allem an seiner enormen Suggestivität.

Die Welt von Blade Runner fühlt sich echt an, sie hat eine haptische Qualität. Das liegt auch daran, dass hier noch analoge Tricktechnik, sprich, viel Modellbau, zum Einsatz kam. Man glaubt an die Realität dieses Settings; daran, dass diese Stadt hinter der nächsten Strassenkreuzung endlos weitergeht. Blade Runner zeigt einen belebten und lebenden Kosmos, der stets über seine eigene Geschichte und den Bildrand hinauszuweisen scheint.

Zugleich – und das ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch – liegt es an seinem extremen Pathos, der ständigen Überhöhung des Gezeigten. Scott ist seit je vor allem ein Bildermacher und weniger ein Geschichtenerzähler oder gar ein Psychologe. Blade Runner ist visuell extrem dicht und strotzt nur so von bedeutungsschwangeren Bildern. Die bevorzugten Kommunikationsformen sind das Deklamieren von Sentenzen oder das andeutungsvolle Raunen. Die beliebteste Darstellungsform ist das statuenhafte Erstarren im Halbdunkel. Und überall diese symbolisch aufgeladenen Bilder und mythologische Referenzen: Der Mord an Tyrell ist eine Szene mit eindeutig ödipalen Untertönen. Die Nägel, die sich Batty während des Showdowns in die Hand rammt, sind eine wenig subtile Anspielung auf die Jesus-Figur.

Darauf muss man sich freilich einlassen können. Wenn man es kann, erscheint der Film als ein Meer von kulturgeschichtlichen Hinweisen, die tiefere Bedeutung suggerieren. Wie ein nie endendes Spiel, bei dem es stets eine neue Sinn-Ebene zu entdecken gibt. So wird eine Szene wie Battys Schlussmonolog zu einem der ergreifendsten Momente der Filmgeschichte.

Auf Zuschauerinnen und Zuschauer, denen dieser Sprung nicht gelingt, wirkt Blade Runner leicht wie pseudo-tiefsinniger und sinnloser Kitsch. Was sind die «C-Beams», von denen Batty in seinem Monolog faselt? – Niemand weiss es, Rutger Hauer hat den Text improvisiert. Und was um Herrgottswillen hat die Taube hier zu suchen, die er bedeutungsschwanger gen Himmel steigen lässt? Blade Runner ist mehr als ein Film, er ist bis zu einem gewissen Grad Glaubenssache. Entsprechend gross ist die Aufgabe, die sich die Macher der Fortsetzung jetzt vorgenommen haben.

Eigentlich kann Blade Runner 2049 nur mehr oder weniger ehrenvoll scheitern. Es ist zwar positiv zu werten, dass Ridley Scott bei Blade Runner 2049 nur als Produzent fungiert und die Regie Denis Villeneuve überlassen hat. Denn Scotts jüngste Alien-Spinoffs, Prometheus und Alien: Covenant , legten die Vermutung nahe, dass er mittlerweile das grundlegendste erzählerische Handwerkszeug verlernt hat.

Jared Leto

Blade Runner 2049 nimmt das Augen-Motiv wieder auf

Denis Villeneuve hingegen hat mit Sicario, Prisoners und dem oscarnominierten Science-Fiction-Drama Arrival bewiesen, dass er cineastischen Anspruch und Massentauglichkeit vereinen kann. Dennoch: Auch wenn Blade Runner 2049 ein guter Film werden sollte, an den geradezu religiösen Status des Vorgängers wird er vermutlich kaum anknüpfen können.

Erschienen im Frame.

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1 Kommentar auf “«Blade Runner» ist zurück

  1. Hallo Simon! Blade Runner ist meiner Meinung nach sehr cool und unterhaltsam. Vielen Dank für deinen Eintrag.

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