Es ist soweit

Vergangenen Donnerstag kam der erlösende Telefon-Anruf: Der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) fördert unser Projekt Alternative Weltentwürfe: Der politisch-aktivistische Dokumentarfilm. Das bedeutet, dass ich ab Juni  drei Jahre Zeit habe, um zur Utopie im Dokumentarfilm zu forschen. Parallel dazu wird sich Andrea Reiter in ihrem Dissertationsprojekt mit einem Korpus von Dokumentarfilmen auseinandersetzen, die in den Jahren nach dem Zerfall Jugoslawiens ab 1991 entstanden sind und sich kritisch mit den Kriegsereignissen und deren Folgen befassen.

Worum geht’s?

Es geht um den utopischen Film oder vielmehr um die Frage, ob es Filme gibt, die der Gattung der Utopie entsprechen, wie sie von Thomas Morus mit Utopia begründet wurde. In der Geschichte der Literatur hat sich diese Gattung als erstaunlich langlebig erwiesen. Seit der Erstveröffentlichung von Utopia im Jahre 1516 gab es einen steten Strom utopischer Texte, die dem morusschen Vorbild sowohl inhaltlich wie auch in der Form folgen. Viele dieser Texte sind heute vergessen, mache waren bei Erscheinen aber veritable Bestseller; etwa Johann Gottfried Schnabels Wunderliche Fata einiger See-Fahrer …,besser bekannt als Insel Felsenburg (1731–1743)ein Roman, der Mitte des 18. Jahrhunderts ungemein populär war, oder, rund 150 Jahre später, Edward Bellamys Looking Backward: 2000-1887 (1888), dessen Auflage in die Millionen ging und das in den USA zur Gründung zahlreicher Nationalist Clubs führte

Im 20. Jahrhundert wird es um die positive Utopie zwar stiller, es werden aber nach wie vor entsprechende Texte geschrieben. Vor allem bringt das 20. Jahrhundert neue Gattungs-Varianten hervor, allen voran die Dystopie, aber auch sogenannte critical utopias. Welche Rolle aber spielt das Leitmedium des Jahrhunderts, der Film, in diesem Zusammenhang?

An Beispielen für filmische Dystopien herrscht kein Mangel. Die Klassiker dieser Gattung wurden fast ausnahmslos verfilmt, und generell tendiert der SF-Film insgesamt stark zur Dystopie. Sei es Star Wars, Matrix oder Total Recall – dystopische Schreckensregime sind ein fester Bestandteil des Genres.

Was aber ist mit der positiven Utopie, der Eutopie, also der detaillierten Schilderung einer – zumindest vermeintlich – besseren Staatsordnung. Folgt man der aktuellen Forschung,[ref]Siehe zum Beispiel Zirnstein, Chloé: Zwischen Fakt und Fiktion. Die politische Utopie im Film. München 2006; Müller, André: Film und Utopie. Positionen des fiktionalen Films zwischen Gattungstraditionen und gesellschaftlichen Zukunftsdiskursen. Berlin 2010; Endter, Heike: Ökonomische Utopien und ihre visuelle Umsetzung in Science-Fiction-Filmen. Nürnberg 2011.[/ref] existieren positive Utopie im Film schlichtweg nicht. An diesem Punkt setzt mein Forschungsprojekt an: Meine Grundthese, die ich in späteren Einträgen sicher noch genauer ausführen werde, lautet, dass der Spielfilm ohnehin ungeeignet für Eutopien ist. Der Dokumentarfilm hingegen – insbesondere der Propagandafilm und verwandte Erscheinungen – scheint mir der Ort, an dem eutopische Entwürfe aller Art gedeihen können.

Wozu ein Blog?

In den kommenden Monaten werde ich viel zur Utopie und benachbarten Feldern lesen. Ich werde mir manchen seltsamen Film zu Gemüte führen und – hoffentlich – den einen oder anderen originellen Gedanken dazu entwickeln. Dieser Blog soll dabei als eine Art Notiz- und Sudelheft fungieren, als Ort, an dem ich erste Ideen skizzieren, interessante Fundstücke kommentieren und mit Menschen mit ähnlichen Interessen ins Gespräch kommen kann.

Schauen wir, was draus wird.

 

 

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