Utopisches frisch von der Presse

Dieser Tage sind gleich zwei Heftlein, die mit unserer anstehenden Tagung Utopia and Reality (Ausführlicheres dazu hier) in Zusammenhang stehen, auf meinen Tisch geflattert. Zum einen das schmucke Programmheft mit allen Abstracts (das PDF dazu gibt es hier). Die Tagung ist öffentlich, Interessierte melden sich unter conference@utopia2016.ch an.

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Ebenfalls erschienen ist das September-Programm des Kino Xenix, mit dem wir für unsere Tagung gleich zweifach kooperieren. Zum einen zeigt das Xenix im Rahmen seiner Dok-um-fünf-Reihe begleitend zu unserer Konferenz fünf Dokumentarfilme, die sich in unterschiedlicher Weise mit Utopien auseinandersetzen. Jenny Billeter hat eine äusserst attraktive Auswahl zusammengestellt, die ich allen Dokfilm- und Utopieinteressierten ans Herz legen möchte.

Für den Tagungsauftakt steht am 7. September dann ein besonderes Highlight an: Der Filmemacher und Filmpublizist Thomas Tod, der Tags darauf bei uns einen Vortrag halten wird, hat fünf utopische Kurzfilme ausgewählt, die er jeweils kurz einleiten wird. Das Spektrum reicht von sozialistischer Stummfilmpropaganda (100’000 unter roten Fahnen. Phil Jutzi, DE 1929) über die Vision eines futuristischen geeinten Europas (Vingt ans après / Europa 1978. Paul Claudon, FR 1958. Siehe zu diesem Film auch einen früheren Eintrag) bis zu Agnès Vardas filmischem Portrait ihres griechischen Hippie-Onkels (Uncle Yanco. Agnès Varda, FR 1967). Auch diese Veranstaltung ist öffentlich.

Nicht alles läuft rund in der Zukunft von Vingt ans

Nicht alles läuft rund in der Zukunft von Vingt ans après

 

 

Tagung «Utopia and Reality»

Im Rahmen unseres Forschungsprojekts Alternative Weltentwürfe organisieren Andrea Reiter und ich diesen September die Tagung Utopia and Reality. Die Veranstaltung, die vom 7.–9. September an der Universität Zürich stattfindet, verbindet mit der Utopie und dem Dokumentarfilm zwei Themen, die vorderhand weit auseinanderliegen. Wie wir aber an der Veranstaltung – und natürlich auch in unserer eigenen Forschung – zeigen werden, gibt es hier zahlreiche Anknüpfungspunkte (ich selbst vertrete ja die Ansicht, dass klassische – positive – Utopien grundsätzlich nur im nichtfiktionalen Film möglich sind).

Die (englischsprachige) Tagung ist klein gehalten, weshalb wir auch von einem Workshop sprechen. Nichtsdestotrotz haben wir ein sehr hochkarätiges Programm zusammengestellt; besonders stolz sind wir auf unsere drei Keynote-Speaker, die die Crème de la Crème der Utopie- resp. Dokumentarfilmforschung darstellen. Mit Lyman Tower Sargent haben wir den grand old man der Utopian Studies als Vortragenden gewinnen können, und Dina Iordanova und Jane Gaines sind ihrerseits Koryphäen auf dem Gebiet des Dokumentarfilms. Aber auch die übrigen Vorträge versprechen, interessant zu werden. Thematisch schlagen wir einen weiten Bogen; es werden nicht nur klassische Bereiche der Utopie- und Dokumentarfilmforschung angeschnitten, sondern z.B. auch Fragen der Stadtplanung und des Videoaktivismus.

Im Folgenden das Tagungsprogramm. Das Booklet mit den Abstracts der einzelnen Vorträge kann hier heruntergeladen werden. Obwohl es sich um eine kleine Veranstaltung handelt, steht sie Aussenstehenden offen. Interessierte melden sich bitte unter conference@utopia2016.ch an.Das Titelblatt

 

Programm

Thursday, September 8

9.30 Opening and Introduction
MA Andrea Reiter and Dr. Simon Spiegel, University of Zurich

10.15 Keynote 1: Utopia and Everyday Life. Prof. Lyman Tower Sargent, University of Missouri-St. Louis

11.00 Coffee break

11.30 Anarchist Democracy between Fact and Fiction. Dr. Peter Seyferth, Bavarian School for Public Policy

12.15 Lunch

13.30 City Symphonies and Manifestos as Utopian Documentaries. Prof. Alfredo Brillembourg and Daniel Schwartz, Urban-Think Tank, ETH Zürich

14.15 Europe as Guarantor for Freedom and Land of Plenty Thomas Tode, Independent Scholar

15.00 Coffee break

15.30 Keynote 2: The Documentary Film as Utopian Forum. Prof. Dina Iordanova, University of St Andrews

18.30 Presentation of early editions of Thomas More’s Utopia at the Zentralbibliothek

Friday, September 9

9.30 Keynote 3: Documentary Dreams of Activism. Prof. Jane M. Gaines, Columbia University

10.15 Coffee break

10.45 Striving towards Utopia. Dr. Lars Weckbecker, Zayed University

11.30 Utopia and the Future. Dr. Alan Marshall, Mahidol University

12.15 Lunch

13.30 Video Activism 2.0 and Its Networked Utopias. Prof. Dr. Britta Hartmann, Bonn University; Prof. Dr. Jens Eder, University of Mannheim; Dr. Chris Tedjasukmana, Free University of Berlin

14.30 Utopian Concepts in Vertov’s Man With a Movie Camera. Dr. Susanna Layh, University of Augsburg

15.30 Workshop close

Wo/Man Mind Machine (13./14. Juni)

 

HAL

Anfang nächster Woche findet in Berlin die interdisziplinäre (englischsprachige) Tagung Wo/Man Mind Machine statt, die sich um die Interaktion zwischen Mensch und Maschine dreht. Ich trete am Montagnachmittag mit einem Vortrag mit dem Titel «Foolproof and Incapable of Error.› – Why Do Filmic Robots and AIs Always Go Bad?» an.

Aus der Tagungsausschreibung:

What are the various interfaces between mind, wo/man, and machine and how can these interfaces be further explored within and across different disciplines? In this conference, we will investigate the complex interaction between humans and machines as well as various ways of reverse-engineering the brain. We will discuss current approaches, theories, and methodologies in this field, and also identify shared research interests, which might lead to future collaborations between the humanities and the sciences, between members of both academies, and beyond.

Das vollständige Tagungsprogramm gibt es hier.

Veranstaltungsort: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW), Einstein-Saal, Jägerstr. 22/23, 10117 Berlin.

Kontakt & Anmeldung: manmindmachine@diejungeakademie.de

 

 

Von (Blut-)Burgen und Türmen

Den vorläufigen Abschluss meiner diesjährigen Konferenzen-Tournee bildete letzte Woche die Tagung Winter is Coming, die sich, wie es im Untertitel hiess, kultur­wissenschaft­lichen Perspektiven auf George R.R. Martins A Song of Ice and Fire resp. der Fernsehserie Game of Thrones widmete. Für mich ein ziemlich ungewohntes Gebiet, da ich mit Fantasy normalerweise nichts am Hut habe und von Martin bislang noch keine einzige Zeile gelesen habe. Da ich aber ein begeisterter Zuschauer der Fernsehserie bin und vor allem weil mich Markus May, PD für Neue Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Spiritus Rector der Veranstaltung, explizit dazu aufgefordert hat, habe ich dennoch einen Beitrag beigesteuert.

Die Tagung fand im Münchner Schloss Blutenburg in sehr stimmungsvollem Ambiente statt. Ich konnte zwar nicht die ganze Zeit vor Ort sein, bekam aber dennoch einiges des dichten Programms mit. In meinem eigenen Vortrag sprach ich über die narrative Funktion der Sexszenen, der so genannten Sexpositions, in GoT.[ref]Die Slides meines Vortrags sind online. Insbesondere der zweite Teil ist ohne Kommentar allerdings nicht sonderlich aufschlussreich.[/ref]

winteris_ngplakat_lIch möchte an dieser Stelle nicht gross auf die Tagung selbst eingehen (Interessierte finden auf der Website von Felix Schröter eine ausführliche Zusammenfassung der Veranstaltung), sondern einen anderen Aspekt ansprechen. Gemessen an anderen wissenschaftlichen Veranstaltungen erzeugte die Tagung ein relativ grosses mediales Echo. So berichtete die Süddeutsche Zeitung  zweimal – einmal vorab, und einmal im Anschluss an die Tagung. Während der erste Artikel sehr freundlich gehalten ist, enthält der zweite einige Spitzen. Schon der Titel „Drachen und Zombies – streng wissenschaftlich“ hat einen maliziös-ironischen Unterton, und im Text selbst klingt immer wieder an, dass hier im Grunde nur Fans darum bemüht sind, ihr (kindisches) Tun wissenschaftlich zu verbrämen.

Unter den Tagungsteilnehmern hatte es wohl auch den einen oder anderen Fan, und nicht zuletzt Dank des ersten Artikels wies die Tagung einige „Laufkundschaft“ auf; eine Besucherin erklärte sogar, dass sie sich, nachdem sie sich nach der Lektüre gleich zum Bahnhof aufgemacht habe, um nach Schloss Blutenberg zu fahren. Auch bei meinem Vortrag, der im letzten Panel platziert war, fielen mir die teilweise sehr jungen Zuhörer auf, die sich bei der anschliessenden Diskussion keineswegs mit Kommentaren zurückhielten.

Gerade Letzteres ist eigentlich sehr begrüssenswert. Der gängige Vorwurf an die Geisteswissenschaften lautet ja, dass wir uns zurückgezogen im Elfenbeinturm mit esoterischen Dingen beschäftigen, für die sich kein normaler Mensch interessiert. Eine Tagung, die sich ausdrücklich mit einem populären Phänomen beschäftigt – und von der breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wird –, müsste da als etwas Positives erscheinen.

Im Grunde rechtfertigt ja bereits das Riesenecho, das GoT weltweit auslöst, die wissenschaftliche Rechtfertigung mit der Serie und den Romanen. Wenn man sich nicht mit einer der derzeit populärsten Formen von Unterhaltung beschäftigen darf, womit denn sonst? Zudem ist die Serie – und anscheined auch die Romane – handwerklich unglaublich gut gemacht. Aus filmwissenschaftlicher Sicht gibt es hier mehr als genug interessanten Stoff. Irgendwie scheint es mancherorts aber dennoch Vorbehalte gegenüber solchen Unternehmen zu geben. Zumindest lässt Nicolas Freund in seinem Artikel immer wieder anklingen, dass es mit der wissenschaftlichen Relevanz nicht so weit her ist – nicht so weit her sein kann.

Bei derartigem Dünkel kommen wohl verschiedene Faktoren zusammen. Eine grosse Rolle spielt zweifellos die Tatsache, dass wir es hier mit Fantasy zu tun haben, einem Genre, das nach wie vor nicht richtig ernst genommen wird. Fantasy, so das gängige Vorurteil, ist was für Teenager. Hinzu kommen gängige Fan-Klischees: Schräge Vögel, die in Fantasie-Welten flüchten und dabei allerhand kindischem Treiben wie Karten-Zeichnen, Verkleiden, Sammeln von Figuren etc. nachgehen. Dass das nichts mit seriöser Wissenschaft zu tun haben kann, versteht sich von selbst. Die Tatsache, dass eine Schwertkampf-Demonstration (die ich leider verpasst habe) Teil des Veranstaltungsprogramms war, scheint diese Einschätzung nur zu bestätigen.

Nun bin ich zwar alles andere als ein Liebhaber von Fantasy (und stehe diversen Fan-Aktivitäten eher ratlos gegenüber), eine ähnliche Haltung ist aber auch mir schon oft begegnet. Wenn ich erwähne, dass ich mich wissenschaftlich mit SF beschäftige, kriege ich oft etwas à la „Science Fiction interessiert mich nicht, die finde ich doof.“ zu hören. Nun ist es freilich vollkommen legitim, dass sich jemand nicht für SF oder Fantasy interessiert. Ich bin aber ziemlich sicher, dass mein Gegenüber nichts Derartiges sagen würde, wenn ich zur Barock-Lyrik, zum Werk Adalbert Stifers oder zum frühen Film forschen würde (wenn ich von Utopien spreche, fallen die Reaktionen bereits ganz anders aus). Die Chance, dass mein Gesprächspartner ein besonderes Flair für Barock-Lyrik hat (resp. sich überhaupt etwas unter diesem Begriff vorstellen kann), ist zwar klein, seine Reaktion wäre in diesem Fall aber wahrscheinlich bloss ein mehr oder weniger respektvolles Schweigen.

Es scheint gerade die Bekanntheit und vermeintliche Vertrautheit des Themas zu sein, die es in den Augen mancher als Gegenstand wissenschaftlicher untauglich erscheinen lassen. Oder vielmehr: Obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – sich weitaus weniger Menschen für Barock-Lyrik interessieren als für GoT, hat Erstere dennoch  den Nimbus der Respektabilität. Populäre Formen wie SF oder Fantasy sind dagegen Kinderkram und taugen somit nicht für seriöse Wissenschaft

Paradoxerweise scheinen die vermeintlich elitären Elfenbeintürmer an den Hochschulen offener für Populärkultur als das Zeitungsfeuilleton. Denn dass auch Mainstream-Erzeugnisse für wissenschaftliche Analyse ertragreich sein können, dürfte sich inzwischen auch am letzten Germanistik-Seminar rumgesprochen haben. Zwar wird unter Phantastikforschern noch immer gerne gejammert, wie schwer man es mit diesem Spezialgebiet im Uni-Bereich habe, meine Erfahrungen sind diesbezüglich allerdings anders (wobei es hier wohl Unterschiede zwischen Literatur- und Filmwissenschaft gibt). Im akademischen Bereich erlebe ich kaum, dass man meine Themen nicht ernst nimmt; in aller Regel sind es just Nicht-Geisteswissenschaftler, die irritiert reagieren. Fast scheint es, als wäre es manchem lieber, wenn wir bei unseren obskuren Problemen im Elfenbeinturm bleiben würden.

Update: Der Sammelband zu Tagung ist mittlerweile erschienen, Details dazu hier. Mein Beitrag zur erzählerischen Funktion der Sexpositions in GoT ist zudem online verfügbar.

GFF 2014

Gestern ging die fünfte Jahrestagung der Gesellschaft für Fantastikforschung (GFF) zu Ende. Die Veranstaltung, an der ich bereits zum vierten Mal teilnahm – einzig an der zweiten GFF-Konferenz in Salzburg war ich nicht dabei –, wurde heuer vom Department of English and American Studies der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt ausgerichtet (hier die Website der Tagung). Wie bereits in den vergangenen Jahren war es eine schöne Gelegenheit, um Bekannte zu treffen und neue Kontakte zu knüpfen. Inhaltlich war die Tagung aber zumindest für mich nicht sonderlich ergiebig, was vor allem an zwei Dingen lag, die wohl bis zu einem gewissen Grad zusammenhängen. Da wäre einerseits das Thema der diesjährigen Ausgabe. Auch die früheren GFF-Tagungen hatten jeweils einen inhaltlichen Schwerpunkt, dieser wurde aber in der Regel nicht allzu ernst genommen resp. war jeweils so offen formuliert, dass fast alles darunter gefasst werden konnte. Der diesjährige Schwerpunkt war mit «Fantastic Games» dagegen relativ eng abgesteckt. Zwar gab es auch dieses Jahr wieder einen sogenannten Open Track, in dem alles irgendwie Phantastische zugelassen war, die grosse Mehrheit der Vorträge drehte sich aber in der Tat um Spiele, wobei hier der Schwerpunkt wiederum auf Rollenspielen lag, vor allem auf dem populären deutschen System Das Schwarze Auge (DSA).

Nun spricht freilich nichts dagegen, für einmal alle DSA-Interessierten zu ihrem Recht kommen zu lassen, mich selbst reizte das Thema aber nicht sonderlich. Ich war auch überrascht, wie wenig fortgeschritten die Forschung in diesem Bereich offenbar ist. Mehrere Vorträge versuchten mehr oder weniger erfolgreich, das typische Pen-and-Paper-Rollenspiel mit literaturwissenschaftlichen Kategorien zu fassen. Dabei scheint mir ziemlich offensichtlich, dass dieser Ansatz relativ schnell an Grenzen stossen muss, denn beim Rollenspiel liegt kein irgendwie greifbarer Text vor. Der zentrale performative Aspekt lässt sich mit klassischen erzähltheoretischen Modellen ohnehin kaum fassen. Natürlich gab es wie immer auch anregende Vorträge, etwa zur Kulturgeschichte des Bühnenzaubers oder zu Games, die von gewohnten Pfaden abweichen und zum Beispiel ihre eigene Bedienungsmechanik zum Thema machen. Referate zur Utopie und selbst zum SF-Film waren insgesamt aber rar, der konkrete Nutzen für meine eigene Forschung somit ziemlich gering.

Vor allem aber waren dieses Jahr deutlich weniger Teilnehmer zu verzeichnen, was zu einem spürbar ausgedünnten Programm führte.  Vor allem der englischsprachige Track war doch ziemlich schmalbrüstig. Das betraf mich ganz direkt, da ich meinen Vortrag – im Wesentlichen identisch mit dem, den ich vor drei Wochen an der SF/F Now zum Besten gegeben hatte – auf Englisch hielt. Der Andrang zum Panel war denn auch ziemlich überschaubar.

Lag es am Thema oder am Austragungsort? Ich vermute, dass am Ende eine Kombination der beiden Faktoren ausschlaggebend war. Bei den Keynotes fehlte es auch ein bisschen an den grossen Namen (ausgenommen natürlich meine Kollegin Barbara Flückiger). Hinzu kam noch eine gute Prise Pech: Zwei als Keynote-Speaker angekündigte Gäste – u.a. Tanya Krzywinska, auf die ich mich gefreut hatte – mussten kurzfristig absagen.

Nichtsdestotrotz war die GFF-Konferenz auch dieses Mal wieder eine schöne Sache. Mein eigentliches fachliches Highlight erlebt ich allerdings erst in Zürich. Kaum war ich zu Hause angekommen – wo im Gegensatz zu Klagenfurt schönes Wetter herrschte –, traf ich mich mit Kim Stanley Robinson. Aber davon mehr in einem späteren Eintrag …

Update: Einen Tagungsband wird es voraussichtlich nicht geben. Da der Inhalt meines Vortrags bereit weitgehend in zwei früheren Publikationen abgedeckt ist, tangiert mich das nicht gross.

Update 2: Aufgrund der grossen Nachfrage wird es nun voraussichtlich doch einen Tagungsband geben. Allerdings ohne Beitrag von mir.

Umkämpfte Himmel

Nächste Woche findet in Berlin die Tagung Embattled Heavens: The Militarization of Space in Science, Fiction, and Politics statt, an der ich einen Vortrag halten werde  – natürlich zur Utopie. Das Thema der Tagung ist zwar nicht unbedingt utopisch, ich habe es aber dennoch geschafft, mich reinzuschmuggeln, und zwar mit einem Vortrag zu Robert A. Heinleins  Starship Troopers (1959). Der Roman erzählt die Geschichte des jungen Soldaten Johnnie Rico, der in der Zukunft gegen ausserirdische Bugs kämpft. Wie diese Zukunft im Detail aussieht, wie die Gesellschaft organisiert ist, erfahren wir kaum, lediglich ein Aspekt wird hervorgehoben: Wahlberechtigt ist in der Welt von Starship Troopers nur, wer Militärdienst geleistet hat.[ref]Zur Verteidigung des Romans wird immer wieder argumentiert, dass sich der civil service keineswegs auf Militärdienst beschränken würde. Heinlein selbst vertritt diese Ansicht in Expanded Universe. Wie James Gifford, ansonsten ein grosser Bewunderer des Autors, aber nachgewiesen hat, wird diese Einschätzung durch den Roman selbst nicht gestützt. Siehe: Gifford, James: The Nature of «Federal Service» in Robert A. Heinlein’s Starship Troopers. 1996.[/ref]

StarshipTroopersCoverStarship Troopers ist eines der bekanntesten Büchern Heinleins und zugleich sein umstrittenstes. Wem es langweilig ist, braucht nur in einem SF-Forum seiner Wahl eine Diskussion zum Thema «Ist Starship Troopers faschistisch?» zu starten – genug Unterhaltung für die folgenden Tage dürfte garantiert sein. So ganz konnte und kann ich diese heftigen Reaktionen nie nachvollziehen, denn in meinen Augen ist der Roman nicht nur ziemlich dumm, sondern auch erstaunlich langweilig. Vorderhand wird zwar die Geschichte Johnnie Ricos erzählt, im Grund fehlt aber ein echter Plot. Stattdessen gibt es – nach einem durchaus rasenten Auftakt mit einer Schlachtenszene – kapitellange Ausführungen über militärische Ausbildung, kindische Rechtfertigungen von Todesstrafe und körperlicher Züchtigung und viel militaristisches Macho-Geschwätz.

Dennoch beschäftigt mich der Roman schon länger, nicht zuletzt wegen Paul Verhoevens grossartiger Verfilmung. Denn Verhoeven und sein Drehbuchautor Ed Neumeier – Verhoeven selbst hat den Roman nach eigener Aussage gar nie zu Ende gelesen – haben etwas sehr ungewöhnliches gemacht, zumal für Hollywoodproduktionen: Ihr Starship Troopers ist keine Verfilmung im Geiste der Vorlage, sondern vielmehr eine Satire auf diese. Der Film nimmt die Ausgangslage des Romans und übertreibt alles ein bisschen – das Ergebnis ist eine zwar nicht sonderlich subtile, aber sehr unterhaltsame schwarze Satire.[ref]Das wirft auch die Frage nach dem Verhältnis von Satire und Utopie auf. Dass die beiden Gattungen eng miteinander verbunden sind, dürfte unbestritten sein. Bislang scheint aber noch niemand diesen Zusammenhang auf grundlegender Ebene untersucht zu haben. Zumindest ist mir kein entsprechender Text bekannt.[/ref] Eine Satire, die über die Länge eines Films hinweg funktioniert und nicht nach 30 Minuten verpufft, gehört in meinen Augen zu den schwierigsten Dingen, die es im Medium Spielfilm gibt; Starship Troopers ist eines der wenigen Beispiele, die nicht scheitern.

StarshipTroopersGerichIch will schon seit geraumer Zeit einen Artikel darüber schreiben, dass Starship Troopers eigentlich eine Utopie ist. Denn zahlreiche Elemente seiner Zukunftsgesellschaft sind utopisch, und dies  im doppelten Sinn: Einerseits zeigt der Film eine Gesellschaft, in der – mit Ausnahme dieses blöden Kriegs mit den Bugs – alle mehr oder weniger zufrieden scheinen, zum anderen bedient sich der Film verschiedener Topoi, die zum festen Bestandteil der utopischen Literatur gehören. An dieser Stelle sei nur ein Beispiel erwähnt: Die Klage darüber, dass die Gesetze und das Justizwesen generell zu kompliziert seien und dass vor Gericht am Ende nicht gewinnt, wer Recht hat, sondern wer den raffinierteren Anwalt aufbietet, findet sich bereits bei Morus. Viele Utopien reagieren darauf mit einer radikalen Vereinfach der Gesetze. Was richtig und falsch ist, ist ja ohnehin  klar, also braucht es auch keine komplizierten Prozesse. Dieses Motiv nimmt Starship Troopers in einem seiner Nachrichten-Einsprengsel auf. So ganz nebenbei erfahren wir, dass ein Mörder am gleichen Tag vor Gericht gestellt und zu Tode verurteilt wurde. Die Exekution ist für den Abend angesetzt.

Als Bartholomäus Figatowski vergangenes Jahr einen Call for Papers für einen Heinlein-Sammelband lancierte,[ref]Das Buch sollte im Laufe des Jahres erscheinen.[/ref] schien das die ideale Gelegenheit, um diese Idee endlich auszuarbeiten. Um über den Film zu schreiben, musste ich mich aber zuerst genauer mit dem Roman beschäftigen, und zu meiner grossen Überraschung stellte sich heraus, dass bereits Heinleins Roman zahlreiche utopische Elemente enthält. Allerdings ist die Utopie nicht etwa die zivile Gesellschaft – denn über diese erfahren wir so gut wie nichts –, sondern die Johnnies Einheit, die Mobile Infantry.[ref]Diese Idee ist keineswegs völlig neu. Phil Gochenour hat sie in seinem Aufsatz «Utopia of Pain: Adolescent Anxiety and Narrative Ideology in Robert A. Heinlein’s Starship Troopers» bereits entwickelt. Allerdings fasse ich das Konzept der Utopie enger als Gochenour.[/ref] Am Ende erwies sich die Analyse von Starship Troopers als klassische Utopie als so ergiebig, dass ich fast ausschliesslich über den Roman schrieb und kaum noch auf Verhoevens Film eingehen konnte. Und davon wird mein Vortrag «Utopian Soldiers. Robert Heinlein’s Starship Troopers as Utopian Novel» nächste Woche handeln.