My First Worldcon

Zur Science Fiction (SF) gehören nicht nur Literatur und Filme, sondern auch das Fandom, die Gruppe der – mehr oder weniger – organisierten Fans. In der Geschichte des Genres spielt das Fandom schon ab den 1930er-Jahren eine wichtige Rolle. In der Sekundärliteratur wird oft hervorgehoben, welch grosse Bedeutung die Fans für die Entwicklung der SF haben. Der Austausch zwischen Produzenten und Publikum ist in der SF traditionell sehr intensiv, viele Autorinnen und Herausgeber entstammen ursprünglich dem Fandom.

Schon früh begannen sich die Fans an sogenannten Cons – Kurzform für Conventions – zu treffen. Die erste Worldcon – die allerdings noch eine reine US-Angelegenheit war – fand 1939 parallel zur Weltausstellung in New York statt. Seither ist das Fandom gewachsen und internationaler geworden, seit geraumer Zeit finden die Worldcons auch regelmässig ausserhalb der USA statt.

Obwohl ich mich seit gut 20 Jahren – es ist tatsächlich schon so lang! –wissenschaftlich mit SF und verwandten Phänomenen beschäftige, kenne ich das Fandom bisher im Grunde nur aus zweiter Hand. Es mag Aussenstehende, die mit SF nichts am Hut haben, überraschen, aber ich selbst betrachte mich nicht als SF-Fan. Wenn man von meiner Mitgliedschaft im Online-Forum scifinet.org, wo ich seit Jahren mit dabei bin, absieht, gehe ich kaum typischen Fan-Aktivitäten nach. Meine einzige Con-Teilnahme beschränkte sich bisher auf einen kurzen, eher zufälligen Besuch am israelischen iCon im vergangenen Jahr. Eine Worldcon-Teilnahme zog ich nie ernsthaft in Betracht.

So wäre es wahrscheinlich auch geblieben, wenn nicht vergangenes Jahr ein Call for Paper für den Academic Track am diesjährigen 75. Worldcon in Helsinki ergangen wäre. Diese wissenschaftliche Tagung innerhalb des Cons stand unter dem Thema «100 Years of Estrangement», Anlass war – einmal mehr – der 100. Geburtstag von Viktor Šklovskijs Aufsatz «Die Kunst als Verfahren». Wie die drei regelmässigen Leser dieses Blogs wissen, habe ich mich in der Vergangenheit ausführlich mit diesem Text auseinandergesetzt, folglich musste ich auch hier was einreichen. Und so kam ich unverhofft zu meinem ersten Worldcon-Besuch.

Ich besuchte auch mehrere Panels des wissenschaftlichen Tracks, bei meinem Besuch in Helsinki stand aber dennoch die eigentliche Convention im Vordergrund. Denn wie wissenschaftliche Tagungen ablaufen, weiss ich mittlerweile, die Con-Welt war dagegen neu für mich. Im Folgenden deshalb einige halbwegs geordnete Worldcon-Eindrücke.

Alle sind willkommen

Das Fandom hat ein sehr ausgeprägtes Selbstverständnis, eine Identität, auf die man stolz ist und die man pflegt. Ein Kernelement ist dabei die Offenheit; niemand soll ausgegrenzt werden, alle – auch und besonders Minderheiten und Randgruppen – sind willkommen.[ref]Umso schmerzhafter war die Puppies-Affäre, bei der ein paar rechtsgerichtete Trottel versuchten, ein Zeichen gegen den angeblichen Political-Correctness-Terror zu setzen und die Hugos, den wichtigsten SF-Preis, zu kapern. Diese feindliche Übernahme, die glücklicherweise abgewehrt werden konnte, traf das Fandom an einem zentralen Punkt.[/ref] Diese Offenheit wird, so mein Eindruck, auch wirklich gelebt. Nicht nur, dass ich schon am ersten Morgen fast mit George R. R. Martin kollidierte, der trotz Weltruhm und Millionenauflagen auch bloss ein SF-Fan unter vielen war, ein bunteres Publikum als in Helsinki kann man sich kaum vorstellen. Die SF-Fans verstehen sich als Aussenseiter, ja sie zelebrieren dies geradezu. Wie es eine Con-Bekanntschaft formulierte: «We’re all weird». Egal, wie sehr man von vermeintlichen gesellschaftlichen Normen abzuweichen meint, an der Worldcon aus dem Rahmen zu fallen, ist schier unmöglich. Es begann schon vor dem Kongresszentrum, wo ein paar junge Männer im Mad-Max: Fury-Road-Outfit ihre Schmiedekünste vorführten. Und drinnen ging es im gleichen Stil weiter. Auch für Con-Besucher mit Behinderungen wurde gesorgt. Das Access-Desk war stets besetzt, Besucher, die auf Gehhilfen o. ä. angewiesen waren, konnten immer mit Rücksichtsnahme rechnen.

Finnische Schmiede

Finnische Schmiede.

So bunt das Publikum auch war, geographisch schien das Publikum dennoch relativ begrenzt. Offiziell verteilten sich die über 5500 7000 Besucher auf über 60 Länder, mein – zugegeben völlig subjektiver – Eindruck war aber ein anderer. Auf mich wirkte die Con mit Ausnahme einer grossen chinesischen Delegation sehr weiss. Auch Frankreich und Südeuropa schienen mir nicht sonderlich prominent vertreten.[ref]Frankreich stellt möglicherweise einen Sonderfall dar. Das Land, das diesbezüglich eigentlich auf eine lange Tradition zurückblicken kann, ist auch an wissenschaftlichen Konferenzen zu SF und verwandten Themen so gut wie nie vertreten.[/ref] Das mag auch mit den hohen Preisen in Finnland zusammenhängen – ein beliebtes Gesprächsthema unter den Con-Besuchen –, andererseits traf ich erstaunlich viele australische Gäste an, für die die Reise nach Finnland nun wirklich kein Pappenstiel ist. Wie gesagt: Das sind sehr subjektive Eindrücke, aber Afrika, Südamerika und weite Teile Asiens schienen mir definitiv nicht sehr präsent.

Breites Programm

SF, wie sie sich am Worldcon präsentierte, beschränkt keineswegs nur auf Literatur und Film. Das Fandom fächert sich vielmehr in unzählige Untergruppen auf. So sprach ich am ersten Abend – an einem Apéro im Rathaus von Helsinki! – mit einem Physiker, der an der Con einen Vortrag über den aktuelle Stand der Marsforschung hielt. Natürlich fragte ich ihn, was er von Kim Stanley Robinsons Mars-Trilogie hält, worauf er mir gestand, dass er nie über Seite 100 hinausgekommen sei. Lesen sei nicht sein Ding, er interessiere sich einfach für die Erforschung des Alls. Diese Haltung scheint mir insofern typisch, als der konkrete Bezugspunkt zur SF (oder zu Fantasy) je nach Fan stark variieren kann. Es gibt Büchernarren, Cosplayer, die sich verkleiden, Sammler, Autoren von Fan Fiction, Filker, die Songs mit SF- und Fantasy-Themen singen, und noch vieles andere. Im Sinne einer Horizont-Erweiterung nahm ich am folgenden Abend an einer Filk-Runde teil, musste aber bald einsehen, dass das eine Facette des Fandoms ist, mit der ich definitiv nichts anfangen kann.

Ein Taschen-Alien und ein Lightsaber

Wichtige Fan-Utensilien.

Generell hat die Worldcon etwas bestätigt, was ich ohnehin schon wusste: Ein grosser Teil der Fandom-Aktivitäten ist mir letztlich fremd. Ich habe durchaus Spass daran, wenn sich jemand aufwendig verkleidet, und ich durchstöbere gerne Bücherstände oder schaue mir Fan-Artikel wie einen Lightsaber oder ein Taschen-Alien an, über ein amüsiertes Betrachten geht es aber selten hinaus. Weder verspüre ich den Drang, eine möglichst vollständige Sammlung von Game-of-Thrones- oder Blade-Runner-Paraphernalien zu besitzen, noch würde ich mir je ein Kostüm basteln (oder wenn, dann nur für einen ganz besonderen Anlass); ja selbst die diversen Special-Editions von Filmen und BluRay-Boxen interessieren mich kaum.

Dennoch war ich – eben im Sinne einer Horizont-Erweiterung – darum bemüht, die Breite des Con-Programms zumindest ansatzweise abzudecken und eine Reihe verschiedener Formate zu erkunden. Unter anderem besuchte ich bewusst mehrere Panels, die das Fandom selbst zum Thema hatten. Das war durchaus interessant, aber mehr aus einer gewissermassen ethnologischen Perspektive, als Illustration, wie das Fandom funktioniert. Inhaltlich direkt angesprochen hat mich wenig.

Auffällig war, dass bei vielen Gelegenheiten die lange Geschichte des Fandoms betont wurde. Dass sich Gruppen und Institutionen ihrer selbst vergewissern, indem sie ihre Traditionen pflegen und die eigene Herkunft herausstreichen, ist nichts Aussergewöhnliches (man ziehe nur etwa die Oscar-Verleihung zum Vergleich heran, bei der fortlaufend die Geschichte Hollywoods beschworen wird). Und dass auch und gerade die SF, die sich vermeintlich mit der Zukunft beschäftigt, einen ausgeprägten Hang zur Nostalgie hat, habe ich schon früher beschrieben. Dennoch war es interessant zu sehen, wie sehr die Worldcon ihre eigene Geschichte pflegt. So gab es ein eigenes – allerdings nicht sonderlich gut besuchtes – Panel zum Sammeln von Worldcon-Memorabilia, und die Hugo-Preisverleihung (dazu gleich mehr) enthielt mehrere Programmpunkte, die ausschliesslich der eigenen Geschichte galten.[ref]Geradezu gerührt war ich vom In-Memoriam-Segment, in dem der im vergangenen Jahr Verstorbenen gedacht wurde. Neben Martin Landau, George Romero, Adam West und diversen anderen war hier tatsächlich auch Tzvetan Todorov aufgeführt. Das entbehrt, nicht einer gewissen Ironie, denn seine Ausführungen zur SF zeugen von kompletter Ignoranz.[/ref] Für manche Fans ist letztlich das Fandom selbst der Dreh- und Angelpunkt ihres Fan-Daseins. Ganz im Sinne des Fan-Slogans FIAWOL – Fandom is a way of life.[ref]Camille Bacon-Smith hat das bereits in ihrer Studie Science Fiction Culture beschrieben.[/ref]

Die Hugos

Der Hugo, benannt nach Hugo Gernsback, dem ‹Vater der SF›, ist der wichtigste SF-Preis und wird jeweils von den Worldcon-Teilnehmern in einem zweistufigen Wahlverfahren gewählt. Die Hugo-Preisverleihung war einer der Worldcon-Höhepunkte, weshalb ich natürlich im Publikum sein wollte.

Die meisten Preisverleihungen sind eine öde Sache, die sich ewig hinzieht; etwas Langweiligeres als die Oscar-Verleihung gibt es kaum. Die Hugos stellten für mich diesbezüglich eine positive Überraschung dar. Obwohl ich die grosse Mehrheit der nominierten Werke resp. Autorinnen und Autoren bestenfalls dem Namen nach kannte (die Liste der Gewinner gibt es hier), empfand ich die fast dreistündige Veranstaltung über weite Strecken als kurzweilig und stellenweise sogar als regelrecht berührend (das Segment mit dem japanischen Seun-Preis war allerdings eher mühsam). Hinterher hörte ich zwar von verschiedener Seite, dass das eine der schwächsten Hugo-Verleihungen seit langem gewesen sei, meiner Meinung nach kann sich aber so manche Preis-Zeremonie eine Scheibe von den Hugos abschneiden.

Die Hugo-Verleihung – kurz vor Beginn.

Die Hugo-Verleihung – kurz vor Beginn.

Bekannte Gesichter

Die SF-Welt ist klein, und so erstaunt es nicht, dass ich in Helsinki eine Reihe bekannter Gesichter – oder vielmehr Namen – traf. Neben Leuten wie Farah Mendlesohn, Niall Harrison oder Bodhisattva Chattopadhyay, die ich von früheren Tagungen kannte, war es vor allem eine Gelegenheit, viele deutschsprachige Fans, mit denen ich bislang nur über digitale Kanäle zu tun hatte, erstmals in Fleisch und Blut zu treffen, u. a. SF-Viel-Autor Dirk van den Boom, SF-Herausgeber Hannes Riffel, den SFCD-Vorsitzenden Thomas Recktenwald, Hardy Kettlitz, Nina Horvath, und noch ein paar andere, die mir gerade nicht einfallen. Immer wieder interessant, wenn man Leuten, die virtuell bereits seit Jahren kennt, plötzlich leibhaftig gegenübersteht (und sich beispielsweise in der Vermutung bestätigt sieht, dass Dirk durchaus in der Lage ist, ein Gespräch ganz ohne Proll-Einlage zu führen).

Die kritische Grösse

Was nun folgt, mag auf den ersten Blick dem Vorangegangenen widersprechen, tut es aber nur teilweise – es war für mich schwieriger als erwartet, Anschluss zu finden. Der Grund dafür lag weder daran, dass ich niemanden kannte (s. oben), noch daran, dass die Leute abweisend waren. Im Gegenteil: Eigentlich immer, wenn ich jemanden ansprach, war die Reaktion sehr freundlich. Das Problem war vielmehr die Grösse der Veranstaltung.

Von wissenschaftlichen Tagungen, an denen jeweils kaum mehr als ein drei-, vierhundert Nasen teilnehmen, bin ich es gewohnt, dass man, selbst wenn man im Voraus so gut wie niemanden kennt, spätestens nach zwei Kaffeepausen mit ein paar Leuten Leuten Kontakt geknüpft hat, mit denen man dann im Folgenden die Zeit verbringt; sprich: essen oder des Abends einen trinken geht. An der Worldcon gestaltete sich das deutlich schwieriger. Bei mehreren Tausend Teilnehmern und stets einem Dutzend paralleler Veranstaltungen, ist es nicht ganz einfach, an «seinen Leuten» dranzubleiben.

Kommt hinzu, dass es ganz unterschiedliche Arten von Con-Teilnehmern gibt: Die einen wollen so viele Panels wie möglich besuchen, andere sind auf Souvenir-Jagd, wieder andere führen ihre Kostüme vor oder sind primär aus geschäftlichen Gründen hier; und für einen nicht unbeträchtlichen Teil Alteinessessener geht es eben vor allem darum, alte Freunde zu treffen. Für einen einzelnen Besucher wie mich, der keinen klaren Fokus hat, der also nicht sofort mit einem Modellbauer oder einem Filk-Sänger über die ausgefeiltesten Details seiner Leidenschaft diskutieren kann resp. will, wird es da schwierig. Wohl nicht zuletzt deshalb war ich schliesslich an mehr akademischen Panels, als ich ursprünglich gedacht hatte – denn hier konnte ich über esoterische Details fachsimpeln.

Wahrscheinlich hört sich das jetzt dramatischer an, als es gemeint ist, denn ich fühlte mich nie einsam oder verloren. Wer zum ersten Mal einen Worldcon besucht, dem empfehle ich aber, in Begleitung hinzugehen.

Zum Schluss

Was bleibt als Fazit? Dass ich nicht dem Con-Fieber erlag, lag zweifellos vor allem an mir und nicht am Anlass. Die Worldcon75 war, soweit ich das beurteilen kann, eine sehr gelungene und äusserst professionell organisierte Veranstaltung. Zwar gab es zu Beginn bei verschiedenen Panels Platzprobleme, die Organisatoren reagierten darauf aber schnell. Ansonsten war der Ablauf in vielerlei Hinsicht vorbildlich. Die Registrierung vollzog sich in Windeseile, die Programm-App war übersichtlicher als bei manchem Filmfestival, es gab viele Helfer, die tatsächlich hilfsbereit waren, disziplinierte Besucher, ein offenes WLAN und für jeden Teilnehmer eine für die ganze Veranstaltungsdauer gültige Fahrkarte für den öffentlichen Verkehr. – Ich werde zwar kaum zu einem regelmässigen Con-Besucher werden, alles in allem aber eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte.

Erwähnte Literatur

Bacon-Smith, Camille: Science Fiction Culture. Philadelphia 2000.

Šklovskij, Viktor: «Die Kunst als Verfahren». In: Striedter, Jurij (Hg.): Texte der Russsischen Formalisten. Bd. 1. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. München 1969, 3–35.

Todorov, Tzvetan: Einführung in die fantastische Literatur. Frankfurt a. M. 1992.

Von (Blut-)Burgen und Türmen

Den vorläufigen Abschluss meiner diesjährigen Konferenzen-Tournee bildete letzte Woche die Tagung Winter is Coming, die sich, wie es im Untertitel hiess, kultur­wissenschaft­lichen Perspektiven auf George R.R. Martins A Song of Ice and Fire resp. der Fernsehserie Game of Thrones widmete. Für mich ein ziemlich ungewohntes Gebiet, da ich mit Fantasy normalerweise nichts am Hut habe und von Martin bislang noch keine einzige Zeile gelesen habe. Da ich aber ein begeisterter Zuschauer der Fernsehserie bin und vor allem weil mich Markus May, PD für Neue Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Spiritus Rector der Veranstaltung, explizit dazu aufgefordert hat, habe ich dennoch einen Beitrag beigesteuert.

Die Tagung fand im Münchner Schloss Blutenburg in sehr stimmungsvollem Ambiente statt. Ich konnte zwar nicht die ganze Zeit vor Ort sein, bekam aber dennoch einiges des dichten Programms mit. In meinem eigenen Vortrag sprach ich über die narrative Funktion der Sexszenen, der so genannten Sexpositions, in GoT.[ref]Die Slides meines Vortrags sind online. Insbesondere der zweite Teil ist ohne Kommentar allerdings nicht sonderlich aufschlussreich.[/ref]

winteris_ngplakat_lIch möchte an dieser Stelle nicht gross auf die Tagung selbst eingehen (Interessierte finden auf der Website von Felix Schröter eine ausführliche Zusammenfassung der Veranstaltung), sondern einen anderen Aspekt ansprechen. Gemessen an anderen wissenschaftlichen Veranstaltungen erzeugte die Tagung ein relativ grosses mediales Echo. So berichtete die Süddeutsche Zeitung  zweimal – einmal vorab, und einmal im Anschluss an die Tagung. Während der erste Artikel sehr freundlich gehalten ist, enthält der zweite einige Spitzen. Schon der Titel „Drachen und Zombies – streng wissenschaftlich“ hat einen maliziös-ironischen Unterton, und im Text selbst klingt immer wieder an, dass hier im Grunde nur Fans darum bemüht sind, ihr (kindisches) Tun wissenschaftlich zu verbrämen.

Unter den Tagungsteilnehmern hatte es wohl auch den einen oder anderen Fan, und nicht zuletzt Dank des ersten Artikels wies die Tagung einige „Laufkundschaft“ auf; eine Besucherin erklärte sogar, dass sie sich, nachdem sie sich nach der Lektüre gleich zum Bahnhof aufgemacht habe, um nach Schloss Blutenberg zu fahren. Auch bei meinem Vortrag, der im letzten Panel platziert war, fielen mir die teilweise sehr jungen Zuhörer auf, die sich bei der anschliessenden Diskussion keineswegs mit Kommentaren zurückhielten.

Gerade Letzteres ist eigentlich sehr begrüssenswert. Der gängige Vorwurf an die Geisteswissenschaften lautet ja, dass wir uns zurückgezogen im Elfenbeinturm mit esoterischen Dingen beschäftigen, für die sich kein normaler Mensch interessiert. Eine Tagung, die sich ausdrücklich mit einem populären Phänomen beschäftigt – und von der breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wird –, müsste da als etwas Positives erscheinen.

Im Grunde rechtfertigt ja bereits das Riesenecho, das GoT weltweit auslöst, die wissenschaftliche Rechtfertigung mit der Serie und den Romanen. Wenn man sich nicht mit einer der derzeit populärsten Formen von Unterhaltung beschäftigen darf, womit denn sonst? Zudem ist die Serie – und anscheined auch die Romane – handwerklich unglaublich gut gemacht. Aus filmwissenschaftlicher Sicht gibt es hier mehr als genug interessanten Stoff. Irgendwie scheint es mancherorts aber dennoch Vorbehalte gegenüber solchen Unternehmen zu geben. Zumindest lässt Nicolas Freund in seinem Artikel immer wieder anklingen, dass es mit der wissenschaftlichen Relevanz nicht so weit her ist – nicht so weit her sein kann.

Bei derartigem Dünkel kommen wohl verschiedene Faktoren zusammen. Eine grosse Rolle spielt zweifellos die Tatsache, dass wir es hier mit Fantasy zu tun haben, einem Genre, das nach wie vor nicht richtig ernst genommen wird. Fantasy, so das gängige Vorurteil, ist was für Teenager. Hinzu kommen gängige Fan-Klischees: Schräge Vögel, die in Fantasie-Welten flüchten und dabei allerhand kindischem Treiben wie Karten-Zeichnen, Verkleiden, Sammeln von Figuren etc. nachgehen. Dass das nichts mit seriöser Wissenschaft zu tun haben kann, versteht sich von selbst. Die Tatsache, dass eine Schwertkampf-Demonstration (die ich leider verpasst habe) Teil des Veranstaltungsprogramms war, scheint diese Einschätzung nur zu bestätigen.

Nun bin ich zwar alles andere als ein Liebhaber von Fantasy (und stehe diversen Fan-Aktivitäten eher ratlos gegenüber), eine ähnliche Haltung ist aber auch mir schon oft begegnet. Wenn ich erwähne, dass ich mich wissenschaftlich mit SF beschäftige, kriege ich oft etwas à la „Science Fiction interessiert mich nicht, die finde ich doof.“ zu hören. Nun ist es freilich vollkommen legitim, dass sich jemand nicht für SF oder Fantasy interessiert. Ich bin aber ziemlich sicher, dass mein Gegenüber nichts Derartiges sagen würde, wenn ich zur Barock-Lyrik, zum Werk Adalbert Stifers oder zum frühen Film forschen würde (wenn ich von Utopien spreche, fallen die Reaktionen bereits ganz anders aus). Die Chance, dass mein Gesprächspartner ein besonderes Flair für Barock-Lyrik hat (resp. sich überhaupt etwas unter diesem Begriff vorstellen kann), ist zwar klein, seine Reaktion wäre in diesem Fall aber wahrscheinlich bloss ein mehr oder weniger respektvolles Schweigen.

Es scheint gerade die Bekanntheit und vermeintliche Vertrautheit des Themas zu sein, die es in den Augen mancher als Gegenstand wissenschaftlicher untauglich erscheinen lassen. Oder vielmehr: Obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – sich weitaus weniger Menschen für Barock-Lyrik interessieren als für GoT, hat Erstere dennoch  den Nimbus der Respektabilität. Populäre Formen wie SF oder Fantasy sind dagegen Kinderkram und taugen somit nicht für seriöse Wissenschaft

Paradoxerweise scheinen die vermeintlich elitären Elfenbeintürmer an den Hochschulen offener für Populärkultur als das Zeitungsfeuilleton. Denn dass auch Mainstream-Erzeugnisse für wissenschaftliche Analyse ertragreich sein können, dürfte sich inzwischen auch am letzten Germanistik-Seminar rumgesprochen haben. Zwar wird unter Phantastikforschern noch immer gerne gejammert, wie schwer man es mit diesem Spezialgebiet im Uni-Bereich habe, meine Erfahrungen sind diesbezüglich allerdings anders (wobei es hier wohl Unterschiede zwischen Literatur- und Filmwissenschaft gibt). Im akademischen Bereich erlebe ich kaum, dass man meine Themen nicht ernst nimmt; in aller Regel sind es just Nicht-Geisteswissenschaftler, die irritiert reagieren. Fast scheint es, als wäre es manchem lieber, wenn wir bei unseren obskuren Problemen im Elfenbeinturm bleiben würden.

Update: Der Sammelband zu Tagung ist mittlerweile erschienen, Details dazu hier. Mein Beitrag zur erzählerischen Funktion der Sexpositions in GoT ist zudem online verfügbar.